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Ein Protagonist kann so viel mehr!

Kirsten Marohn wird hier auf dieser Seite langsam so etwas wie meine zweite Hand. Weil ich ihre Ergänzungen zu meinem Artikel Schreibschule: Der Feinschliff wieder einmal sehr interessant finde, veröffentliche an dieser Stelle einen weiteren Gastbeitrag:

Stephen King schreibt in seinem Buch „Das Leben und das Schreiben“ man solle gut auf seine Adverbien achtgeben. Hat man erst mal eines auf dem Acker, vermehren sie sich, und im Nu, hust, keuch, ist die Wiese voller Löwenzahn.

Adverbien finde ich spannend. Im Feinschliff, d.h. nach dem Rohentwurf eines Manuskripts, gehe ich liebend gerne an diese kleinen Teufelsdinger und versuche sie mit dem Kartoffelschälmesser aus meiner Wiese zu stechen. Natürlich bekommt man sie nie alle zu fassen – unmöglich! Und das ist gut so, selbst der Bestsellerkönig klammert sich gerne an das eine oder andere liebgewonne Adverb, und dem wollen/können wir nicht nachstehen.

Meine Vorgehensweise ist stets die gleiche: Ich spüre die Adverbien auf und versuche sie durch ein aktives Verb auszutauschen. Das ist, als ob man einem Comic Farbe einhaucht, als ob man mit ein paar Farbkleksern ein ehemals blasses Bild in ein leuchtendes Gemälde verwandelt. Nichts liest sich langweiliger, als eine Handlung, die aus blassen Verben besteht, der Protagonist geht, steht, sagt, tut, macht. Diese Verben sind so langweilig, so blass, dass sie geradezu nach einem Adverb schreien, das sie aufbläht, nur bläht sich damit leider auch der Satz auf. Jeder hat schon Sätze gelesen wie Er machte die Tür leise auf. Er tat es schnell. Er sagte leise. Er ging schnell. An diesen Sätzen ist ansich nichts schlimmes, kommen sie jedoch in erdrückender Vielfalt daher, kann eine eigentlich spannende Geschichte schnell langweilig ausarten. Dabei geht es auch anders.

Mit dem Austausch farbloser Verben und ihrer faden Adverbien durch aktive Verben verleiht man der Handlung mehr Farbkraft und Lebendigkeit. Die Handlung blüht geradezu auf. Der Protagonist geht langsam die Straße entlang. Das ist hübsch, aber auch ziemlich langweilig. Ein Protagonist kann so viel mehr. Er kann die Straße hinab schlendern, flanieren, rennen, jagen, sausen, sprinten, hasten, hechten, eilen, huschen, stolpern, taumeln, rasen, schlittern, spurten. Er kann die Tür aufschieben, aufstoßen,ins Schloss schieben, ins Schloss krachen, ranschieben, anlehnen, einen Spalt weit öffnen, ranziehen. Er kann raunen, fluchen, flüstern, wispern, säuseln, und wenn’s denn unbedingt sein muss, kann er auch keuchen, stöhnen, hervorstoßen, fiepsen, quengeln, stottern, stammeln, hervorbringen, sich herauszureden versuchen, eingestehen, zugeben, kapitulieren, zustimmen, verneinen, ablehnen, sich zu rechtfertigen versuchen, herausposaunen – all das kann ein Protagonist, und das alles kann er ohne Adverb. Welches Verb man letztendlich wählt, liegt ganz bei einem selbst, aber man tut gut daran, den Bleistift beiseite zu legen und zu den Filzstiften zu greifen.

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4 Kommentare

  • Antworten Lennet September 28, 2008 um 1:36 am

    Oje – da habe ich ja einiges aufzuarbeiten – vielleicht hast du ja demnächst ein paar Schreibübungen parat… Die Schreibschule ist toll geschrieben – und wenn es so weiter geht, dann solltest du die Texte hier in Buchform bringen! LG Ken

  • Antworten Nina September 28, 2008 um 6:30 pm

    Hi Lilly,

    sag bloß, du hast den Dichter mittlerweile gelesen? Hab ihn gerade bei deinen Empfehlungen entdeckt. Schreibst du was dazu? Würde mich sehr interessieren. Ebenso wie deine Meinung zur Eleganz des Igels.

    Liebe Grüße,
    Nina

  • Antworten Lilly September 28, 2008 um 8:16 pm

    @Lennet: Dankeschön. Der aktuelle Text ist aber ein Gastbeitrag der Autorin Kirsten Marohn.

    @Nina: Ich musste ihn lesen 🙂 Und klar, demnächst werde ich eine Rezension verfassen.

  • Antworten Nina September 28, 2008 um 9:46 pm

    Da bin ich ja mal gespannt. 🙂 Da er in deinen Empfehlungen auftaucht, gehe ich mal davon aus, dass er dir sogar besser gefallen hat als mir.

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