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Kathy Reichs „Tote lügen nicht“

Eigentlich wollte ich keinen Roman mehr aus der forensischen Welt von Temperance Brennan lesen. Der letzte Roman „Hals über Kopf“ – und mein Debüt mit dieser Heldin – hatte nicht meinen Erwartungen entsprochen, aber ich dachte mir: „Gib der Autorin noch eine Chance.“ Also kaufte ich mir Kathy Reichs Debütroman „Tote lügen nicht“ aus dem Jahre 1997, jenem Roman, mit dem sie damals den Durchbruch schaffte.


Damals, 1997, war die Welt der forensischen Mordfälle noch Neuland, Serien wie CSI Miami steckten noch in den Kinderschuhen, kurzum, die DNA einer Augenwimper ersetzte noch nicht das kriminalistische Gespür für einen Mordfall. Gleich am ersten Tag verschlang ich von „Tote lügen nicht“ 75 Seiten, ein für mich nicht unübliches Lesetempo, aber doch ein Hinweis darauf, dass mich ein Roman in seinen Bann schlägt. Es sei gleich vorausgeschickt: „Tote lügen nicht“ ist nichts für sensible Menschen. Wie schrieb der Spiegel zu diesem Roman? „Dieser Thriller berührt und fesselt nicht nur, sondern erzählt auf verstörende Weise von der Macht des Bösen.“ Die Betonung liegt auf dem Wörtchen VERSTÖREND. Als Stephen King Fan bin ich einiges gewohnt, aber nachwievor sind es die subtilen, psychologisch ausgefeilten Geschichten, die mir mehr Grauen einjagen als jeder Zombie oder Werwolf.

Temperance, oder auch Tempe, wie sie genannt wird, hat diesmal als forensische Anthropologin alle Händevoll zu tun – und das im wortwörtlichen Sinne. Auf einem Grundstück werden mehrere Müllsäcke mit einer zerstückelten, verwesten Leiche gefunden. Der Fall scheint schnell abgeschlossen, doch Zeit zum Luftholen bleibt nicht, denn kaum ist die Identität des Opfers geklärt, geschehen weitere Morde, deren Merkmale unheimliche Paralellen zu einigen ungeklärten Opfern aus der Vergangenheit aufwerfen. Hat Tempe Brennan es mit einem Serienmörder zu tun? Je mehr sie sich mit diesen Fällen beschäftigt, desto mehr wird auch der vermeintliche Täter auf sie aufmerksam.

Was nach einem weiteren Fall aus dem CSI Bereich klingt, deren Thematik in letzter Zeit massenweise den Büchermarkt überschwemmt, hebt sich angenehm von anderen Büchern aus diesem Genre ab. Das liegt an dem sympathischen, wenn auch toughen, dadurch aber nicht minder verletzlichen Charakter Tempe Brennan, die neben einem ehemaligen Alkoholproblem noch einen Ex-Ehemann in ihrem Leben mit sich herumträgt, aber auch an der Stadt Montreal, die in diesem Buch zu einem zusätzlichen heimlichen Protagonisten avangiert. Neben den eigentlichen Mordfällen liegen für mich die Stärken dieses Romans in der Anteilnahme an Tempes Privatleben – wenn sie mit ihrer Katze Birdie spricht, wenn sie nach einem jeden Tag abends zur ihrer Coca Cola Light greift (das Getränk wird so oft erwähnt, dass man hier einen Sponsorenvertrag vermutet) und natürlich wenn sie beherzt selber in die Fälle eingreift und einen dabei auf spielerische Art eine Stadtführung durch Montreal gönnt. Bereits auf Seite 120 hatte ich das unstillbare Verlangen, diese Stadt zu besuchen. Doch liegt hier auch einer der Schwachpunkte der Geschichte: Wie schon bei Karin Slaughters Georgia Romanen, fragte man sich nach kurzer Zeit, wie viele makabre Todesfälle eine (Groß-)Stadt verkraftet bzw. welches Maß hier noch glaubwürdig ist.

Der Schreibstil von „Tote lügen nicht“ ist sauber, stilsicher und akkurat und eine Wohltat für jedes angehende Autorenherz (Achtung Autorennachwuchs: Hier kann man was lernen!). Kathy Reichs schreibt derart detailgetreu, dass ich nach kurzer Zeit das Gefühl hatte, bereits morgen mein erstes Skelett autopsieren zu können. Hier liegt für mich eine Schwachstelle des Romans: Gewisse Handlungsstränge werden einfach zu sehr breit getreten, so gleicht zum Beispiel das Öffnen einer Foto CD an einem Computer einem zweistündigen Volkshochschulkurs für angehende IT Programmierer. Dasselbe gilt für die Autopsie Passagen – nach kurzer Zeit beschleicht einen das Gefühl, an einer Sitzung im Hörsaal für Medizinstudenten teilzunehmen. So fachspezifisch Kathy Reichs auch über ihr Fachgebiet zu schreiben vermag (die Frau ist selbst Ärztin und weiß, wovon sie spricht), so fehlten mir doch die Gefühlselemente in diesem Buch. Ein kleines Faible für ihren Kollegen Ryan wird angedeutet, ab und an sickert ihre Einsamkeit, ihr Singleleben und die Sehnsucht nach ihrem Ex-Mann durch, all das blitzt kurz auf, aber dabei bleibt es dann auch, dabei hätte ich mir in dieser Richtung mehr gewünscht, das hätte den Roman aufgelockert. Leider verliert sich der Roman allzu oft in Fachsimpeleien, was für die Spannung des Romans abträglich ist. Dabei zeigt Kathy Reichs immer wieder, dass sie es kann, dass sie die herrlich spitzfindigen, treffsicheren Dialoge gepaart mit einem Auge für gute Menschenkenntnis perfekt beherrscht. Nur leider scheint ihr Schwerpunkt auf einem anderen Gebiet zu liegen.

Weiterhin sei gesagt, dass es ein paar nervige Parallelen zwischen „Tote lügen nicht“ von 1997 und „Hals über Kopf“ (ihrem vorletzten Roman gibt), wo man sich als Leser fragt, warum die Autorin oder der Lektor nicht etwas mehr Ideenreichtum haben walten lassen: So tritt in beiden Romane eine gute Freundin auf, die ihr zu Seite steht und am Ende des Buchs stirbt. In beiden Büchern macht eine unnahbare männliche Autorität aus dem Polizeibereich Tempe das Leben schwer, ein mauliger Mann, der mit frauenfeindlichen Sprüchen zu glänzen weiß. Schade, dass man es sich hier erspart hat, den einen und anderen Charakter durch frisches Blut auszutauschen. Insgesamt hätten dem Roman 200 Seiten weniger gut getan, eine etwas andere Charakteristik der Protagonisten und mehr Gefühlselemente. Einen dritten Roman werde ich von Kathy Reichs nicht lesen [außer jemand schenkt ihn mir :o)]. Wer aber von forensischen Kriminalfällen begeistert ist und wem fehlende Gefühlsduselei ganz gelegen kommt, der wird an „Tote lügen nicht“ seine Freude haben.

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3 Kommentare

  • Antworten tipap November 20, 2008 um 2:11 pm

    Sag‘ mal, Temperance Brennan ist doch auch die Hauptfigur in der Fernsehserie „Bones“, oder? Sind die Geschichten in den Romanen denn auch die aus der Serie?

  • Antworten Kirsten Marohn November 20, 2008 um 3:29 pm

    Die Serie wurde meines Wissens nach aufgrund der Bücher ins Leben gerufen. Ob die Serie aber nun den Inhalt der Bücher widergibt, wage ich zu bezweifeln, denn so viel Stoff bieten die Bücher nicht, um eine ganze Serie damit zu füllen. Auf http://www.kathyreichs.com gibt es dazu mehr Infos.

  • Antworten Lilly Berry » Blog Archive » Kathy Reichs - Knochenarbeit Oktober 10, 2009 um 8:13 pm

    […] ist es her, da schrieb ich eine Rezension über Kathy Reichs höchst erfolgreichen Debütroman Tote lügen nicht. Damals lobte ich das Buch in den höchsten Tönen, fand aber auch genug kritische Töne, um mit […]

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