Über 630 Seiten. Ein gutes Stück Arbeit. Aber das war’s wert.
Worum geht’s? Ein junger Bremer namens Frank Lehmann beendete seine Ausbildung zum Speditionskaufmann erfolgreich und muß wie viele andere Männer seines Alters seinen Dienst leisten. Da er den KDV-Antrag (Kriegsdienstverweigerung) vertrödelt hat, blieb ihm nichts übrig, als zum Entsetzen seiner verständnislosen Eltern zur Kaserne zu gehen, wo er für fünf Tage die Woche in eine andere Welt abtaucht, die ihn immer wieder wundern lässt und er mit seinem einmaligen Humor so manchen Soldaten köstlich auf die Palme bringt, auch wenn er es manchmal gar nicht böse meint.
Zwar verfolgt ihn die Bundeswehr (fast) das gesamte Buch über, doch ist es häufig nur nebensächlich, da gut die Hälfte des Buches am Wochenende abspielt; Er zieht in eine eigene Wohnung, da sein Vater sein Zimmer zwecksentfremdet und lernt neue wie auch alte Leute kennen, verliebt sich mehrmals, trifft sich mit seinem Bruder und hat so manch Zickerei unter Männern vor der Nase.
Er [Frank] fühlt sich häufig nicht verstanden und dieses Gefühl, daß Menschen reden, Fragen stellen, aber eigentlich gar kein Interesse haben, plagt ihn ziemlich, weshalb er sich mit seinen Gedanken häufig zurückzieht und sich die Welt so erklärt, wie es ihm gefällt.
Dies hätte er auch in Sachen Frauen machen sollen. So verführte Birgit den Frauen gegenüber schüchterne Frank mehrmals, der irgendwann den Mut packte und mit Birgit zu ihr fuhr, nachdem sie gemeinsam etwas trunken und sich küssten. Doch leider war Birgits Ex bereits in ihrem Bett, den sie scheinbar vergessen hatte.
Geplagt von Schikanen, Niederlagen auf privater und beruflicher Ebene, kommt Frank doch irgendwie stets voran und bleibt sich selbst treu. Und das, obwohl Sibille, die ihn ebenfalls verführte, auch ihren kürzlich wiedergetroffenen Ex zu sich holte, obwohl sie am Abend zuvor noch (angeblich) Hals über Kopf in Frank verliebt gewesen sei. Der ganz normale Wahnsinn, der ganz normale Alltag eines jungen Mannes. Man entwickelt ziemlich schnell eine Empathie für Frank; das geht schon auf den ersten Seiten los, wenn er mit seinen merkwürdigen, aber doch „genormten“ Eltern diskutiert.
Frank streitet sich Vorgesetzten der Bundeswehr, mit Ärzten, seinen Mitbewohnern (aufgrund einer Frau) und ist am Ende wieder allein. Naja, fast.
Ich möchte nicht zuviel der Geschichte vorwegnehmen und habe extra einige aufregende Erlebnisse ausgelassen, da ich das Buch jedem (und jeder!) wärmstens empfehlen kann. Sven Regener ist bereits durch sein Buch – und die Verfilmung – von „Herr Lehmann“ bundesweit in Erscheinung getreten und ich möchte mich dem STERN anschließen, um zu sagen, daß mir „Neue Vahr Süd“ doch deutlich besser gefiel als „Herr Lehmann“, wobei letzteres schon absolut lesenswert ist.
Auszusetzen habe ich nur eine Kleinigkeit: die totale Überbenutzung von „dachte er“. Ich weiß nicht, warum der Autor das so durchgehend benutzt. Teilweise ist es ganz witzig und prägt den Stil, aber auf Dauer nervt es so sehr, daß man nach den über 600 Seiten diese beiden Wörtchen automatisch ausblendet. Hier ein kleiner Ausschnitt:
[…] sondern immer alles getippt haben, dachte er, da müßte man eigentlich erst einmal ein paar Tage trainieren, daß es einigermaßen flüssig und lesbar zugleich wird, dachte er, so ist das ja eine Psychopathenhandschrift, das kann man eigentlich keinem zumuten, dachte er […] Verschreiber sind verräterisch, dachte er, sie sind wie Versprecher, es darf nicht der kleinste Fehler darin sein, dachte er, und wenn, dann dürfen es nur solche Fehler sein, dachte er, die durch geschicktes Übermalen ausgebügelt werden, Hauptsache, man muß kein Wort durchstreichen, dachte er, […]
Auffällig ist auch die häufige Benutzung von Soziolekten, sowohl die der Bundeswehr als auch diverser K-Gruppen, die häufig eine Rolle unter den Jungs spielen. Dennoch sind viele Begriffe selbsterklärend oder nicht weiter von Bedeutung, sodaß auch ein Außenstehender das Buch ebenso genießen kann.
Als nächstes werde ich mir Tolstois „Krieg und Frieden“ vornehmen; es wird also wieder etwas dauern bis man was neues von mir hört.
(Lilly, kannst du den Eintrag hier etwas „nachbessern“? Die sind nicht so schön wie deine von der Gestaltung her!)
Edit Lilly: erledigt. ^^
3 Kommentare
Ahja, danke für die Erinnerung – da war doch noch ein Buch, das ich nach „Herr Lehmann“ unbedingt lesen wollte! 🙂
Danke für die Rezension, jetzt freue ich mich noch mehr auf die baldige Lektüre. Auf dem SUB liegt es schon.
@Marcel & Emily: Freut mich und gern geschehen! 🙂