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Lebenslange Arbeitsverweigerung oder: Die berufliche Identität

Ich sitze beim Zahnarzt, habe gerade unzählige Spritzen in den Mund gerammt bekommen und warte mit klopfenden Herzen auf das drohende Unheil. Die Ärztin, sie kann höchstens 26 Jahre alt sein und keinen Tag älter, fragt mich beschwingt, so als würde das hier keine Tortur für uns beide werden, ob ich eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bräuchte.
„Ääähm, nein“, würge ich heraus. „Ich bin Studentin“, füge ich schnell hinzu. Arbeitslos zu sein wäre sicher keine Schande, aber aus irgendeinem Grund würde es mich stören, von anderen als Hartz IV-Empfänger betrachtet zu werden.
„Soso, was studieren Sie denn?“, pfeift sie weiter vor sich hin.
Was wahrscheinlich ein nettes Smalltalk-Geplänkel werden soll, bringt mich nur noch weiter ins Schwitzen. „Eigentlich … ich bin eher freiberuflich, aber sonst … äh … Soziologie“, antworte ich und stelle beschämt fest, dass die Wirkung der Leitungsanästhesie immer stärker wird und ich zu sabbern beginne. „In Rostock?“, will sie wissen. Ich nicke etwas zu schnell und etwas zu heftig. Und lüge.

Andere Situation: Ein junger Mann kommt auf mich zu. Gutaussehend, lächelnd, sympathisch wirkend. Ich sehe den Stand hinter ihm, seine Kollegen, die bemüht versuchen, andere Passanten, die ignorant und blind an ihnen vorbeistürmen, anzusprechen und bin mir sicher: Hier will wieder jemand nur dein Bestes. Dein Geld.
Aber ich bleibe trotzdem stehen. Aus Höflichkeit, weil es etwas Wichtiges sein könnte und weil die junge Mann doch so nett wirkt. Wir kommen ins Gespräch. Ja, er erklärt mir auch, was er macht und warum er hier steht, aber er zückt keinen Spendenschein, bittet mich nicht zur Kasse. Stattdessen wird unsere Unterhaltung privater. Und dann ist sie da, die Frage: „Und, was machst Du so?“ Keine Sekunde vergeht und wie aus der Pistole geschossen antworte ich: „Ich bin selbstständig.“
Ich bin selbstständig? Geht es noch dämlicher? Ja, draußen vor der Tür steht mein BMW und eigentlich bin auch unterwegs zu einem sehr wichtigen Geschäftsmeeting. Wie zu erwarten, bringt diese Antwort nur noch mehr neugierige Fragen auf den Plan: „Wirklich? Das klingt ja interessant. In welchem Bereich denn?“
Und da ist es wieder. Mein nervöses, unsicheres Ich, das wie ein Pferd mit dem Bein am Boden entlang schabt und plötzlich keinen Augenkontakt mehr halten kann. „Ich schreibe. So hier und da. Einmal sogar für eine Tageszeitung. Aber ich studiere auch und …“
Er schaut mich skeptisch an und ich verstumme.
Das Gespräch wird mir unangenehm und er wechselt dazu über, wie bei jedem anderen auch, seinen einstudierten Text runterzurasseln – und bittet mich um meine Spende.

Was mein Problem ist?
Ich bezeichne es einmal als einen Fall von beruflichem Identitätsmangel. Alles, was ich mache, ist mehr oder weniger sinnlos. Ich studiere so halb an der Fernuniversität, nachdem ich zuvor zwei Studiengänge abgebrochen habe. Akademikern sein? Gern! Nur wozu? Um mir mit meinem Abschluss die Wand zu tapezieren?
Ich jobbe, wo ich etwas kriegen kann, um mich über Wasser zu halten und übernehme ab und zu freiberufliche Textarbeiten. Kleine Sachen, denn ein großes Textgenie steckt nicht in mir.
Diese Sachen fressen einen Großteil meiner Zeit und machen mich zum Loser. Weil ich nicht mit dem Herzen dabei bin. Weil es nichts Ganzes und nichts Halbes ist. Weil ich niemandem erklären kann, was es denn genau ist, was ich mache.
Alles, was ich wirklich sein will, ist Schriftstellerin. Alles, was mir dazu fehlt, ist genügend Zeit. Und dann ist da noch die Angst, alles auf eine Karte zu setzen, meine Eltern zu enttäuschen und natürlich, mich lächerlich zu machen.

Die Wahrscheinlichkeit damit einen absolut brotlosen Job zu ergreifen, liegt bei 80%. Aber die Wahrscheinlichkeit, nie wirklich die nötige Energie zum Schreiben zu haben, wenn ich nicht mutig genug bin, ist noch größer. Was also tun?

Ich kann mich an ein Interview von Benedict Wells erinnern, indem er jemanden zitierte, der sagte, Schriftsteller zu sein wäre eine lebenslange Arbeitsverweigerung.
Das macht mich nachdenklich.

Ich weiß, dass ich nicht auf drei Hochzeiten gleichzeitig tanzen kann. Oder auf vier. Es funktioniert nicht, zu studieren, als normaler Angestellter zu arbeiten, sich freiberuflich zu verwirklichen und auch noch künstlerisch tätig zu sein.
Die Frage ist nur: Wie kann ich mich entscheiden? Und vor allem: Was antworte ich der nächsten Person, die mich nach meinem Broterwerb fragt?


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8 Kommentare

  • Antworten Manulein März 29, 2010 um 11:22 pm

    Ich versteh dich gut. Ich hab grade mein Studium abgebrochen, nach dem vierten Semster. Seid dem bin ich verzweifelt auf der Suche nach einem Job.
    Das studium war einfach nichts für mich, aber ich hab lange gebraucht um mir das selbst einzugestehen.
    Da ich vor meinem Studium keine Ausbildung gemacht habe, versuche ich jetzt eine zu bekommen. Mit 25 Jahren. Das ist nicht einfach, ich fürchte ich bin einfach zu alt. Und so schreib ich bewerbung um bewerbung und warte ab.
    Nicht mal einen Nebenjob konnte ich bisher ergattern.
    Wenn mich jemand fragt was ich mache, sag ich, das ich studiere.

  • Antworten Sven März 29, 2010 um 11:42 pm

    Deine Antwort bei der nächsten Frage ist, dass du ein Allrounder bist, du machst dieses und jenes um dein Leben zu finanzieren, was ist daran schlimmes? Gar nichts! Und deinen Traum solltest du auch nicht aufgeben. Vielleicht musst du erst ein wenig Geld verdienen und ansparen, so dass du ein Jahr davon Leben kannst und dann, dann setzt du dich das Jahr hin und schreibst. Sollte es nichts werden, dann kannst du nach einen Jahr wieder das alte machen.

  • Antworten Sonja März 30, 2010 um 11:03 am

    Diese Sachen fressen einen Großteil meiner Zeit und machen mich zum Loser.

    Ich finde ja diesen Satz bezeichnend. Du tust alles, und nichts. Du hast keine Zeit, um was richtig zu tun und daraus folgt, dass du ein Loser bist – zumindest für dich. Ich aber sehe jemanden, der viel möchte und versucht, all das zu erlangen. Jemand, der sich seinen Herzenstraum erfüllen möchte, der die Anerkennung seiner Eltern und der Gesellschaft sucht und niemandem auf der Tasche liegen möchte. Möglicherweise ist das zu viel auf einmal, aber dennoch strebst du nach etwas. Der Wunsch, der Traum, die Hoffnung… sie sind alle vorhanden. Ich sehe da persönlich keinen Loser, sondern einen Menschen, der ehrlicherweise ein Gewinner sein möchte, auf jeder Linie.

    Und ich frage mich im Moment, was dich WIRKLICH davon abhält, die Gewinnerin zu werden, die du doch eigentlich sein willst. Mag sein, dass du nicht übermäßig talentiert bist, aber wie heißt es so schön: Genie ist zu 1% Inspiration und 99% Transpiration! Und du kannst doch transpirieren, oder? 😉

  • Antworten Eva Jancak März 30, 2010 um 2:33 pm

    Das Gefühl und die Schwierigkeiten mit der Antwort auf diese Frage kenne ich. Ich bin sechsundfünfzig und habe schon Lösungen, weiß das aber, denn ich habe als Psychologiestudentin mit dem Schreiben begonnen und als ich schon Mitglied der Grazer Autoren Autorinnenversammlung der größten österreichischen Schriftstellervereinigung war, habe ich dort Kolleginnen, wie pensionierte Ärztinnen, getroffen, die meinten, das mit dem Schreiben darfst du nicht sagen, denn dann machst du dich lächerlich.
    Das habe ich damals nicht einmal verstanden, es inzwischen aber einige Male erlebt, daß dich die Leute komisch anschauen, als nächstes fragen ob du davon leben kannst und dir erklären, daß man nur ein Schriftsteller ist, wenn man genug verdient (denn die Sozialhilfeempfänger wollen wir ja nicht und auch nicht die vielen brotlosen Künstler ernähren) Inzwischen habe ich kein Problem mehr damit, bezeichne mich als schreibende Frau, also ruhig ein bißchen tiefgestapelt, denn eigentlich bin ich Autorin, Dichterin nicht, dazu bin ich zu wenig lyrisch und als Schriftsteller verstehe ich jemanden, der davon lebt und ich lebe von meiner psychologisch psychotherapeutischen Praxis, habe also einen Botberuf und tue mir da im Umgang mit den sogenannten Vollzeitautoren schwer und auch ein bißchen damit, ob ich mich jetzt um ein literarisches Stipenddium bewerben darf oder nicht?
    Einmal vor vielen Jahren bin ich im Zug gesessen und habe geschrieben, da hat mich einer gefragt, ob ich einen Roman schreibe, da wurde ich rot und ein anderes Mal am Meer in Mexiko hat mir eine Frau ihre Visitenkarte gegeben und wollte, daß ich ihr das Buch zuschicke, wenn es fertig ist.
    Der Schriftsteller oder Künstler ist in unserer Gesellschaft immer noch schlecht angesehen und wird, wenn man nicht Handke oder Bernhard heißt, oft in den Hartz IV Topf geworfen, ohne zu beachten, daß die Kreativität etwas Besonderes ist und ein Blog wie Lillyberry.de oder meiner ist etwas Zeitaufwendiges und etwas für die Gesellschaft Wertvolles, bei meinem erfährt man beispielsweise, was in Wien in Sachen Literatur passiert, bei deinem über Irving, das Bestsellerschreiben usw.
    Ich würde also vorschlagen, ruhig etwas mehr Selbstbewußtsein, die Gesellschaft kann ruhig lernen, daß Kunst und Kreativität etwas Wertvolles ist und man nicht unbedingt im Bankgeschäft tätig sein muß, um etwas Nützlich zu tun.

  • Antworten Steffi März 30, 2010 um 7:38 pm

    Liebe Lilly,

    vielleicht bist du kein großes Textgenie, aber trotzdem meine Lieblingsbloggerin ( von all den vielen, die da draußen herumschwirren … )
    Warum? Weiß ich nicht so genau, denn ich bin wirklich keine gute Schreiberin. Was ich aber weiß, ist, dass sich jeder neue Artikel von dir – auf deinem Blog oder bei lovelybooks – zu lesen lohnt. Zumindest für mich. 🙂

  • Antworten Bettina März 31, 2010 um 8:50 am

    Mach weiter so , finde deine Artikel klasse.

  • Antworten Lilly März 31, 2010 um 3:52 pm

    Vielen Dank Euch allen. Ich hab mich total gefreut, ein paar andere Sichtweisen zu lesen und ein paar aufmunternde Worte … und sogar Komplimente zu bekommen 🙂
    Ihr seid klasse!

  • Antworten Kirsten April 2, 2010 um 7:31 pm

    Ein abgeschlossenes Studium oder eine Ausbildung zu haben, ist heutzutage alles. Das klingt spießig, Fakt ist jedoch, dass dich sonst keiner zu einem ernsthaften, sprich einigermaßen bezahlten Job einstellt. Mit der Angst im Nacken, wie man die Miete und Essen bezahlen soll, lässt sich schlecht schreiben. Mir persönlich geht bei so etwas die Kreativität baden. Wem die hehre Kunst genug Luft zum Leben bietet, der sei gepriesen, aber das sind die wenigsten. Die meisten von uns brauchen eine gewisse Stabilität und Sicherheit in ihrem Leben, um kreativ tätig sein zu können. Ich kann nur raten: Such Dir einen Job, der einigermaßen Spaß macht und übe das Schreiben als Hobby aus. Die Tatsache, dass du der Meinung bist, dass dir trotz eines fehlenden Fulltime Jobs dennoch die Zeit zum Schreiben fehlt, spricht Bände. Wer schreiben will, wer wirklich das Bedürfnis dazu hat, findet auch die Zeit dafür, das ist jedenfalls in vielen Lebensläufen von großen Schriftstellern nachzulesen. Stephen King zum Beispiel unterrichtete in seinen Anfangsjahren an der Universität, arbeitete in einer Wäscherei, lebte in einem Wohnwagentrailer mit seiner Frau und zwei Kindern und schrieb nachts in einer Abstellkammer, die kaum größer war als er selbst, seine ersten Romane. Zeit ist etwas, dass dir und uns allen heutzutage mehr als genug zur Verfügung steht. Was du mit ihr machst, liegt an dir. Ich denke, Zerstreuung ist das große Problem. Vielleicht solltest Du dir eine Auszeit nehmen, um nachzudenken, was du wirklich möchtest, was dir Spaß macht und was dein Leben bereichert. Vielleicht findest du dann eine Lösung, wo du sie gar nicht vermuten würdest. Ich wünsche Dir viel Kraft auf Deinem weiteren Weg!

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