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Stieg Larsson – Vergebung

„Ich will keine Öre von diesem Schwein.“
„Okay. Dann schicken Sie das Geld doch einfach Greenpeace oder so.“
„Wale gehen mir am Arsch vorbei.“

Dies war Stieg Larssons letzter Streich. Der Abschluss einer großartigen Krimi/Thriller- Reihe, der mich mit einem leeren und unbefriedigten Gefühl zurücklässt.
Nicht, weil es ein schlechter Roman wäre, nein ganz im Gegenteil, sondern weil ich weiß, dass dieser schriftstellerischen Brillanz ein jähes Ende gesetzt worden ist.
Wenn ich einen Tolstoi lese, dann weiß ich natürlich auch irgendwann, dass da nichts mehr kommen wird, aber diese Endgültigkeit ist einem auch vorher bewusst.
Larssons Tod liegt noch nicht allzu lang zurück – und diese Aktualität des Buches (in den USA ist der dritte Band noch nicht einmal erschienen), insbesondere was die technischen Aspekte betrifft, ließ mich vergessen, dass wir nicht mehr von der Gegenwart reden.


Nachdem Lisbeth Salander schwer verletzt ins Göteborger Krankenhaus eingeliefert wird, beginnt ein Kampf auf vielen Seiten. Eine geheime Sektion der Sicherheitspolizei beschließt die alte Verschwörung wieder aufzunehmen, um ihre Unabhängigkeit und ihr Weiterbestehen zu sichern. Genau genommen heißt das, dass man alles in die Wege leitet, um sie erneut in die psychiatrische Klinik einweisen zu lassen, diesmal lebenslang. Gleichzeitig müssen andere Menschen beseitigt werden, die zu viel wissen. Wieder geschehen Morde.
Mikael Blomkvist, der sich im zweiten Teil an Lisbeths Versen geheftet hat, kennt die Wahrheit und schließt sich mit seiner Schwester, der Anwältin Annika Giannini und dem Sicherheitschef von Milton Security zusammen, um eine Strategie zu entwickeln die Wahrheit ans Licht zu bringen.
Auch die Polizei wandert einen Grad der Illegalität, als sie sich den Anweisungen des für den Fall verantwortlichen Staatsanwalts widersetzen.
Eine komplizierte Verschwörung wird aufgedeckt und die Sichtweisen vieler Personen präsentiert: die eines Mörders und schwerkranken Mannes, einer attraktiven Blondine der Sicherheitspolzei, die des Chefs vom Verfassungsschutz, von Mikaels Schwester, vom Psychiater Teleborian usw.
Ein zweiter Handlungsstrang beschreibt den Wechsel Erika Bergers von Millennium zur Svenska Morgenposten, Mobbing und ihren Weg zurück.
Für die eigentliche Handlung war es vielleicht nicht von Bedeutung, aber es war ohne Zweifel spannend, hielt Erika als eine der Hauptfiguren im Vordergrund und machte Larssons Basismotiv weiter deutlich:
Den Hass gegen Frauen, die Kampf, den man gegen sie führt – die Art und Weise wie man sie erniedrigt. Manche Kritiker haben das nicht verstanden und sehen diese Geschichte als aufblähenden Störfaktor.
Auch die Verschwörung gegen Lisbeth hatte durchaus „nur“ politische Gründe, hat aber ein Ausmaß erreicht, in welchem es nicht nur darum ging einen russischen Agenten zu schützen, sondern damit auch die Augen vor Misshandlung von Frauen, Mädchenhandel und vor Zwangsprostitution zu schließen.


Auch wenn eine Menge von Informationen auf einen einprasseln, Informationen deren Tragweite ein Laie kaum einschätzen kann (wer kennt sich schon mit der schwedischen Regierung und internen Organisationen aus?) und viele Personen, die allesamt mit Vor- und Nachnamen genannt werden, wirkt es niemals unübersichtlich. Der Leser lernt jede Figur, die eine tragende Rolle spielt, gut kennen. Durch kleine Details z.B. was sie gerade nebenbei macht, wie sie sich gibt, wen sie sympathisch findet, vor was sie Angst hat und wie sie sich kleidet. Man darf nicht glauben, dass dies ein harter Thriller ist, der pausenlos mit Fakten um sich wirkt. Es ist gleichzeitig ein feinfühliges Buch, was sich mit dem Lebensgefühl der Schweden auseinandersetzt. Und wer die Schweden und deren Land genauso liebt, wird das zu schätzen wissen. Die klangvollen Straßen- und Cafénamen, das provinziale Leben (eigentlich sind ja nur Stockholm, Göteborg und Malmö große Städte), die Sommerhäuschen, Kaffee, den es rund um die Uhr gibt und die kleinen englischen Flüche und Gedanken, die überall eingeschoben werden. Man denke hier nur an „Kalle Fucking Blomkvist“. Aus Neugier hab ich mir auch die Rezensionen bei Amazon angeschaut, wobei mir aufgefallen ist, dass man Larssons Bücher entweder liebt oder hasst. Die positiven Meinungen sind zwar in der Mehrheit, aber die Kritiker verstecken sich trotzdem nicht. In meinen Augen sind das natürlich eindeutig unsympathische Menschen. 😉 Ich habe im folgenden Mal die häufigsten negativen Aussagen zusammengefasst und meinen Senf dazu abgegeben:

  • Lisbeth wird als eine Superfrau mit übermenschlichen Fähigkeiten dargestellt.

Das einzige, was an Lisbeth ungewöhnlich ist, ist ihr angeblich fotografisches Gedächtnis. Es wird erwähnt, dass es ihr nicht schwer fällt sich Dinge schnell einzuprägen und diese lange abzuspeichern. Dass sie wissenshungrig ist und eine gute Hackerin, das sind eher Dinge, die sich aus ihrem freakigen und unsozialem Dasein ergeben. Wenn ein intelligenter Mensch lange genug allein und abgeschieden lebt, dann wird er eben ein kleines Genie, das nah am Wahnsinn lebt. Außerdem ist eine Frau, die von oben bis unten gepierct und tätowiert ist, sich wortkarg und scheinbar gleichgültig anderen gegenüber verhält und mit ihrem anarchistischen Verhalten wenig Wert auf Autoritäten, einer Berufsausbildung und festen Bindungen legt, nicht wirklich als unerreichbares Ideal einzustufen. Sie wurde von einer skandalösen Vergangenheit geprägt, eine Vergangenheit die an ihrem starken Charakter Spuren hinterlassen hat, ihn jedoch nicht zerstören konnte.

  • Die Leute der Sektion müssen hirnlos sein, weil Blomkvist ihnen immer drei Schritte voraus war.

Die Leute der Sektion hatten aber auch keine Ahnung, dass Lisbeth und ihre Hackerfreunde sich jegliche Informationen einfach besorgen konnten. Hacken ist eine Kunst für sich und stellte in diesem Band einen solchen großen Umfang da, dass extra ein anonymer Experte aus der Hackerworld eingeflogen worden ist. Wie konnten die alteingesessenen Herren der Sektion so was ahnen?

  • Die Biografien der einzelnen Personen sind zu langatmig und uninteressant.

Das mag Ansichtssache sein. Ich fand gerade das unglaublich spannend, weil es das Buch menschlich und lebensnah gemacht hat.

  • Der riesige Skandal ist gar keine Sensation und kann nicht für Entsetzen sorgen.

Ich weiß nicht in was für eine Welt diejenige Person, die das behauptet, lebt. Wenn man die schwere Körperverletzung bzw. den Todschlag an einer Frau ignoriert, ein Mädchen zu unrecht Jahrelang einsperren lässt und Frauenkriminalität vertuscht, nur um einen ausländischen Agenten zu schützen, dann ist das ein Skandal. Wenn solche Dinge aber von der Regierung ausgehen, dann ist das der Ruin einer Demokratie – ein Staatsverbrechen.

  • Wie kann ein normaler Journalist wie Blomkvist Politiker überzeugen sich mit ihm zu treffen?

Da scheint jemand nicht genau genug gelesen zu haben. Ich habe nicht bemerkt, dass Blomkvist Politiker überzeugen musste. Eher im Gegenteil, die Politiker wollten ihn als Informanten dabei haben. Zudem ist Schweden auch nur ein kleines Land – bevölkerungstechnisch etwa die Größe von Nordrhein-Westfalen. Dort haben hohe Tiere nicht den Stellenwert von Angela Merkel. Und ganz davon abgesehen ist Mikael durch seine Enthüllungsstories selbst in die Riege der Prominenz aufgestiegen.

  • Es ist unrealistisch, dass die SiPo zu blöd ist sein zweites Handy abzuhören.

Wenn man sich aber anonym eine SIM-Karte besorgt, dann weiß doch niemand zu wem das Mobilgerät gehört?!

  • Mikael kann sich frei bewegen, ohne dass die Herren davon Kenntnis nehmen.

Da hat auch offensichtlich jemand falsch gelesen. Es wurde sogar geschrieben, dass er oft Licht in der Redaktion brennen lassen hat, um die Beschatter in die Irre zu leiten. Während diese glaubten er würde dort übernachten, schlich er sich über den Hinterhof, warf ständig Blicke um sich, ob ihm wer folgte und verbrachte ein Großteil in Lisbeths unbekannter Wohnung.

  • Es findet sich überall penetrante Gutmenschlichkeit.

Ich finde zwar auch, dass die Hauptpersonen durchaus korrekt sind und einem deswegen schnell ans Herz wachsen, aber Gutmenschlichkeit ist etwas anderes.


Jede Person schleppt dennoch Fehler und Skurrilitäten mit sich herum. Erika beispielsweise ging gern in Swinger-Klubs und hat Sex zu dritt genossen. Als sie ein Angebot von einer der größten Tageszeitungen erhalten hat, musste sie nicht lange zögern um Millennium, das ihre Hilfe dringender denn je brauchte, zu verlassen. Mikael kann nicht treu sein und hat vielen Frauen, unter anderem Lisbeth das Herz gebrochen.
Und wenn er an einer Story arbeitet, dann ist er schroff, kurz angebunden und lässt seine Kollegen im Stich. Journalistische Enthüllungen haben bei ihm größte Priorität, selbst wenn er andere, unschuldige Menschen damit schaden könnte.
Auf der anderen Seite sind auch die Bösewichte keine schwarz-weiß gezeichneten Figuren. Ich konnte zu Beginn sogar nachvollziehen, warum gewissen Maßnahmen notwendig waren und hatte größtes Mitleid mit den beiden alten Chefs der Sektion, die beide dem Tod geweiht waren.
Sie waren keine schlechten Menschen, einfach solche die irgendwann eine Grenze überschritten haben und nun alles taten, um ihre Integrität zu wahren.

Ich war zwar ein wenig enttäuscht (Achtung Spoiler!), dass eine mögliche Beziehung zwischen Mikael und Lisbeth nicht zu Stande gekommen ist – war es doch das, was ich mir als romantisch veranlagtes Mädel die ganze Zeit wünschte, aber das Ende war zum Glück offen genug, um zu spekulieren.
Der stets untreue Mikael und die nur mit einem Handtuch bekleidete Lisbeth treffen sich nach langer Zeit endlich wieder und nehmen den Faden ihrer Freundschaft erneut auf.
Wer weiß, was da noch so passiert wäre? Was Larsson in einem eventuellen Nachfolgeroman vorschwebte?
Ich bin nicht sicher, ob es irgendwelche Indizien für eine weitere Blomkvist-Salander Story gegeben hat, aber wenn, dann hätte er diese beiden sexsüchtigen Monsterchen sicherlich nicht nur freundschaftlich Seite and Seite ermitteln lassen.

Ich kann nicht behaupten, dass Larssons Bücher ein sprachliches Feuerwerk wären. Er schreibt nicht poetisch. Er ist kein Künstler.
Er ist Journalist, Realist und präsentiert knallharte Fakten, die auf einer spannenden Basis präsentiert werden. Und bei dem, was er erzählen wollte, waren das genau die richtigen Talente, der richtige Griff in die Stilkiste.
Mal wieder keine Zweifel, das ganze ist fünf dicke fette Ratten wert!

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4 Kommentare

  • Antworten Petra (writingwoman) November 14, 2008 um 6:56 pm

    Das ist ja witzig, grad hab ich getwittert, dass ich vorhin mit ‚Verdammnis‘ fertig geworden bin und mir ganz schnell ‚Vergebung‘ bestellt habe, weil ich nun endgültig süchtig bin, da sehe ich die Rezi dazu in deinem Blog. Ich werde sie aber erst nach der Lektüre lesen 😉
    So traurig, dass wir von Stieg Larsson keine neuen Bücher mehr werden lesen können *schnüff*

  • Antworten Lilly November 14, 2008 um 7:40 pm

    Ja, das sag ich dir … ! Nach dem letzten Buch tut sich eine unendliche Leere auf. :/
    Gut von dir, dass du’s noch nicht gelesen hast, hab nämlich recht viel gespoilert, glaube ich.

  • Antworten Eva November 15, 2008 um 10:36 pm

    Die Rezension hat mich jetzt total überrascht, weil ich irgendwie der Meinung war, du hättest zu „Vergebung“ schon etwas geschrieben gehabt… bin wohl grad ein bisschen wirr im Kopf 😉

    „Er ist Journalist, Realist und präsentiert knallharte Fakten, die auf einer spannenden Basis präsentiert werden.“ -> Das hätte ich nicht besser sagen können, genau das macht die Bücher so besonders. Man merkt einfach in seiner Art zu schreiben, dass er Journalist war, schon alleine die Hintergrundinformationen zu den einzelnen Personen, die ich jedem anderen Autor um die Ohren schlagen würde, aber hier passt es einfach.

    Dass aus Lisbeth und Mikael am Ende nichts geworden ist, hat mich positiv überrascht, mich hätte das nämlich genervt, weil es so typisch à la „die beiden Hauptfiguren kriegen sich natürlich am Schluss“ gewesen wäre. Ich bin aber generell ein eher unromantischer Mensch, mir sind Freundschaften in Büchern meistens lieber als Liebschaften (außer es sind tragische Liebesgeschichten, die mag ich gern) 😉

    Deine Argumente zu den negativen Aussagen finde ich gut & stimme ihnen zum größten Teil zu – nur Lisbeth hätte meiner Meinung nach wirklich weniger „Genie“ und „Superfrau“ sein können (das ist wohl hauptsächlich wegen der Grab-Szene, die ich einfach für unrealistisch halte). Das mit der Gutmenschlichkeit kann ich auch nicht nachvollziehen – ich finde, dass die meisten Figuren sehr dreidimensional in ihrer Vielfältigkeit sind & eine schöne Mischung aus korrektem Verhalten und persönlicher/negativer Eigenarten haben.

    Deine Rezension hat mir so Lust gemacht, die Trilogie gleich noch mal zu lesen *lach*

  • Antworten Elke September 7, 2009 um 7:35 pm

    Habe die 3 Bücher innerhalb kürzester zeit verschlungen und habe fast Entzugserscheinungen. Es ist nur schwer zu ertragen, daß es keinen nächsten Teil geben wird. Man möchte sofort weiterlesen, die Figuren, allen voran Lisbeth Salander, sind mir richtig ans Herz gewachsen.

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