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Christoph Marzi – Heaven – Stadt der Feen

heaven
Ein dunkellila-blaues Hardcover, das einen riesigen Mond zeigt, der über eine malerische London-bei-Nacht-Illustration leuchtet, ein schwarzes Himmelstor mit geschwungenen glitzernden Ornamenten und ein wunderschöner Titel haben mich in ihren Bann gezogen.
Heaven – Stadt der Feen, das kann doch nur ein Abenteuer werden, habe ich gedacht. Was mich dann allerdings erwartet hat, glich einer kleinen Katastrophe.
Warum mich das Buch paradoxer Weise trotz allem nicht enttäuscht hat, erzähle ich Euch später.
Zunächst einmal zum Inhalt:

David, der als Bote für eine alte Buchhändlerin arbeitet und sich auf den Dächern von London zuhause fühlt, stolpert eines nachts über ein junges hübsches Mädchen namens Heaven, das behauptet ihr wäre gerade das Herz gestohlen worden.
Von ihrer Schönheit fasziniert, beschließt David sie mit zu sich nach Hause zu nehmen und ihr zu helfen. Gemeinsam verstecken sie sich vor den zwei schauerlichen Gestalten, die noch immer auf der Jagd nach Heaven sind und versuchen herauszufinden, was es mit ihnen auf sich hat.

Die Protagonisten

David ist von dem exotischen und geheimnisvollen Mädchen sehr angetan. Ich persönlich fand sie furchtbar. Furchtbar unsympathisch, furchtbar egozentrisch und furchtbar klischeehaft. Sie geht in der Rolle des armen reichen Mädchens auf, obwohl sie keinerlei Zwängen unterworfen wird. Sie ist frei wie der Wind und kann tun und lassen, was sie möchte.
Es wird gesagt, dass Heaven mit anderen Leuten generell nicht über sich spricht, oder aber Märchen erfindet. Es wird nie erwähnt, dass wir es mit einer kleinen Lügnerin zu tun haben, aber wie sonst soll man das interpretieren?
Ständig jammert sie, bemitleidet sich selbst, schreit dramatisch durch die Gegend oder weint. Sie sei so unendlich kompliziert und stecke ja so tief in der Scheiße, sagt sie immer wieder.
Es gibt auch eine Szene, die man so deuten könnte, als würde sie David im Stich lassen. Sie wird gezwungen etwas zu tun, um ihm zu helfen, weigert sich aber standhaft. (was David natürlich absolut verstehen kann). Nachdem er in Sicherheit ist, überlegt Heaven es sich jedoch anders und stimmt der Sache freiwillig und mit gutmenschlichem Heiligenschein zu. Sprich: um sich selbst ins rechte Licht zu rücken, ist sie bereit Dinge zu tun. Nicht aber um anderen zu helfen.
Sie besitzt nicht ein Stück Heldenhaftigkeit, nichts, was wirklich bewundernswert ist.
Alles an ihr ist nur gespielte Stärke und Trotzigkeit, die man ständig durchschaut. Sie würde ja niemals lieben wollen, weil die Gefahr bestünde, dass man die Person irgendwann verliert. Geht es noch kitschiger? Ich erwähne lieber nicht, dass am Ende aber genau das passiert, was man ihr am liebsten sofort an den Kopf geworfen hätte.

David selbst ist sympathisch und hilfsbereit. Ich finde es allerdings traurig, dass Marzi seine Figuren nicht großartig handeln lassen hat. Sie zeigen sich dem Leser durch Beschreibungen und Dialoge- Sie drücken ihre Persönlichkeit also weniger durch Leben und Sein aus, sondern fast ausschließlich durch Endloserzählungen, bei denen man sich fragt, warum das jetzt wichtig ist. Immer wieder kommt der Autor auf Davids schlimme Vergangenheit zu sprechen. Ich verstehe ja, dass er ihn charakterisieren wollte, aber er hat damit einen künstlichen Konflikt geschaffen, der mit dem Hauptkonflikt des Buches überhaupt nichts zu tun hatte, und auch sonst kaum in den Roman mit eingeflochten werden konnte.
Ich habe mal irgendwo gelesen, dass man alles, was nicht essentiell für die Story ist, weglassen sollte. Und ich stelle die Behauptung auf, dass die Geschichte ohne Davids Hintergrund genau die gleiche gewesen wäre.

Fiktion und Realität

Besonders langweilig fand ich auch die endlosen Londonbeschreibungen. Ich habe mich teilweise gefühlt, als würde ich einen Reiseführer lesen. Ein altes Kinocafé hier, die Themse dort, ein Betonviertel da usw. Das allein wäre ja noch nicht einmal so schlimm, wenn man sich nicht ständig fragen müsste: Gibt es das jetzt echt? Oder hat der Autor das wieder nur erfunden?
Er spricht zum Beispiel auch ganz selbstverständlich davon, dass der Stadt in einem Bezirk der Himmel fehlt. Ich bin zunächst davon ausgegangen, dass man dort eben einfach keine Sterne sehen könnte, was ja normal für eine Großstadt ist. Aber er sprach tatsächlich davon, dass da oben einfach nichts ist, dass der Himmel heruntergestürzt ist.
Obwohl das schwachsinnig ist, hat er mich damit wirklich so sehr verunsichert, dass ich es nachgoogeln musste.
Natürlich besitze ich etwas Fantasie, das ist nicht das Problem. Aber eine Welt, in der Facebook und die Wirtschaftskrise mit Feen und Geistern verbunden werden, ist verwirrend. Der Übergang von absolut brutaler und kalter Realität ins Reich der Märchen ist zu hart und zu selbstverständlich dargelegt.
Wenn man Sex und die Beziehung einer 28-jährigen zu einem Minderjährigen thematisiert, sollte man meinen, dass der Zielgruppe des Romans eine gewisse Reife zugetraut wird. Warum erzählt man dann Dinge von einem heruntergefallenen Himmel, die ein rational denkender Erwachsener sich überhaupt nicht vorstellen kann?
Für ein kleines Märchen ist das durchaus eine süße Idee, aber Marzis Geschichte ist definitiv nicht süß.

Die Musik

Im Nachwort erwähnt der Autor, dass es das Buch ohne diverse Musikstücke wohl nicht gegeben hätte. Das finde ich toll. Es ist spannend zu erfahren, was die Inspirationsquellen eines Schriftstellers sind. Was er sich allerdings hätte sparen können, sind die Endlosaufzählungen von Künstlern und Songs im Roman selbst.
Kann man davon ausgehen, dass die meisten Titel bekannt sind und dem Leser sofort im Ohr klingen? Nein!
Was kann der Ottonormalverbraucher also damit anfangen, dass für praktisch jede Szene und Stimmung ein Song genannt wird?

Das Gesamtkonstrukt und das Unerklärliche

Zur Einführung in fantastische Welten kenne ich nur zweierlei Methoden. Entweder man geht von der Welt, wie wir sie kennen, aus, und erklärt dann all die übersinnlichen Phänomene- etwa wie bei Harry Potter, oder man zeigt direkt die gesamte Fantasy-Welt und stellt alles als gegeben dar.
Marzi hat es anders gemacht, und hat mich damit eher verärgert, als unterhalten. Wie schon oben erwähnt mischt er zwei Welten, die nicht wirklich zusammenpassen, ohne weiter darauf einzugehen. Und wann immer etwas Übersinnliches passiert, kommt David mit seiner „Wie würde der Held in einem Hollywoodfilm nun reagieren?“- Masche. Die Antwort, die er meist darauf findet, lautet: „Er würde das Unfassbare akzeptieren. Also tu ich das jetzt auch.“
Und damit war die Sache erledigt. Herumtanzende Leichen, Rattenkatzen oder Geister; die beiden Protagonisten haben sich nur kurz daran gestört, und sind dann derart natürlich mit der Situation umgegangen, dass es schon etwas Peinliches an sich hatte.

Die ganze Geschichte lässt ihr wackeliges Konstrukt durchschimmern und entbehrt sich an mehreren Stellen der Logik. Vermeintliche Bösewichte werden plötzlich mit Barmherzigkeit betrachtet, Gewalt wird weder aus Böswilligkeit, noch aus nachvollziehbaren Gründen angewendet, sondern nur um den Leser zu verwirren, und die Auflösung ist eher unglaubwürdig und kindisch gestaltet.

Oh diese Vergleiche!

Auch wenn die Beschreibungen hier und da langatmig waren, konnte man den Roman recht flüssig und immer eben weg lesen. Nur über eine Sache bin ich gestolpert, und zwar des öfteren – über total doofe Metaphern.
Einige Beispiele gefällig?

Ihre Erinnerungen waren wie eine verwelkte Blume, an der sie ständig riechen musste.

Ihre Lider flatterten wie Schmetterlinge, die den Sommer nicht mehr erleben dürfen.

Furcht schwamm in ihm, wie Tränen hinter Glas.

Ich bin wirklich ein Fan von bildhafter Sprache. Aber wer riecht gern an verwelkten Blumen? Flattern Schmetterlinge nicht auch dann, wenn sie den Sommer noch erleben dürfen? Und was hat es mit Tränen hinter Glas auf sich?


Wir wollen nicht alles schlecht reden

Natürlich gab es auch tolle Dinge. Die alte Buchhändlerin und ihr Büchershop haben mir gut gefallen, genau wie die Thematisierung von Charles Dickens im allgemeinen und seine „Großen Erwartungen“ im speziellen, oder auch der Bücherliebhaber, der Antiquare sammelt und seiner verstorbenen Frau daraus vorliest.

Aber diese Ansätze können natürlich mitnichten all das aufwerten, was mich gestört hat.
Das Buch hat überhaupt nicht meinen Geschmack getroffen, aber erstaunlicher Weise hat es Spaß gemacht. Nicht es zu genießen, das war nicht möglich, sondern es zu analysieren.
Und das habe ich dann auch wirklich gründlich getan, was ihr an dieser Besprechung sehen könnt.
Und weil ich Spaß dabei hatte und das Gefühl ein Stück weit mehr gelernt zu haben, wie man gute Bücher NICHT schreibt, empfehle ich Heaven – Stadt der Feen allen Hobbyautoren und -schriftstellern.
Vielleicht gefällt es (ich habe bisher nur positive Rezensionen gelesen), vielleicht auch nicht. Umsonst wird die Lektüre aber sicher nicht sein.

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8 Kommentare

  • Antworten Nina September 10, 2009 um 10:27 am

    Wow, das ist wirklich mal eine ausführliche Analyse! Unanhängig davon, dass ich großer Marzi-Fan bin, bin ich allerdings nicht in allen Punkten deiner Ansicht. 😉

    Etwa in Bezug auf die Charaktere. Ich fand Heaven weder unsympathisch, noch hätte man mE Davids Vergangenheit weglassen sollen/dürften, denn die macht seinen Charakter für mich gerade runder und interessanter, die Geschichte somit auch tiefgründiger.
    Ehrlich gesagt stelle ich mir ein Buch, in dem man alles weglässt, was für die Handlung nicht wichtig ist, auch ziemlich öde vor. Unnötige Szenen, die den Fortgang der Handlung nicht weiter vorantreiben, ja, die kann man gerne weglassen. Aber z.B. ein Raum, in dem ich mich befinde, sollte möglichst auch so beschrieben sein, dass er mir vor Augen steht. Natürlich nicht bis ins kleinste Detail, aber letztlich ist es für die Handlung auch egal, ob eine Vase meinetwegen grün ist, es schafft bei mir aber mehr Atmosphäre bzw. lässt mich einfacher/tiefer in die Geschichte versinken.

    Der Übergang von absolut brutaler und kalter Realität ins Reich der Märchen ist zu hart und zu selbstverständlich dargelegt.

    Genau dieser Übergang, dieses „es könnte tatsächlich sein“ ist doch genau das, was den Reiz der Phantastik ausmacht. Vielleicht hättest du das anders emfpunden, wenn du bereits mehr aus diesem Genre gelesen hättest.

    Die Musik ist so eine marzi-typische Sache, die ich persönlich total toll finde, weil ich mir ein Lied anhören kann und genau die Stimmung nachfühlen kann, die der Autor sich dabei gedacht hat. Finde ich ein nettes Extra. Außerdem erinnern mich manche Lieder dann unweigerlich an bestimmte Bücher oder gar gewisse Szenen.

    Der Stil und die Vergleiche sind wirklich Geschmackssache. Das ist halt Marzi. Entweder man mag das oder nicht, denke ich.

    Letztendlich kann ich für mich sagen, dass ich mir _wünschen_ würde, auch andere Autoren würden sich ein Beispiel an Marzi nehmen. 😉 Seine Schreibe ist für mich einfach unverwechselbar und erfrischend anders. Aber das ist – natürlich – Ansichtsache. 😉

  • Antworten Lilly September 10, 2009 um 12:12 pm

    Du hast schon recht, würde in einer Geschichte alles nur auf den roten Faden hinauslaufen, jede Beschreibung, jede Charaktereigenschaft, dann wäre sie sicherlich nicht lebendig.
    Aber in diesen Fall hatte ich das Gefühl, dass die Charaktere absolut austauschbar sind. Man hätte auch Bella und Jacob nehmen können – die schüchterne Schwache und der starke Held … und es hätte kaum einen Unterschied gegeben. Es hätte immer noch alles gepasst. Ich habe durch die Charakteristiken einfach keinen Bezug zur jeweiligen Geschichte gefunden. Nichts, was die beiden Protagonisten ausmacht, hat irgendwas damit zu tun gehabt wie sie handelten. David hat Platzangst, lässt sich aber trotzdem in ein kleines Boot einsperren oder fährt U-Bahn, die er angeblich so hasst.
    Heaven hat Angst vor Beziehungen, bittet einen jungen Kerl aber ganz selbstverständlich zu sich ins Bett, um sich in den Arm nehmen und beruhigen zu lassen. Sie hasst es angeblich über sich zu sprechen, vertraut David in zwei Tagen aber ihr komplettes Leben an.
    usw.

    Ich weiß, dass das alles auch Geschmackssache ist.
    Bei Dir hat der Autor geschafft Stimmung und Atmosphäre zu transportieren, bei mir – bis auf die Buchhandlung und Bücherszenen – eher nicht.
    Seine Londonbeschreibungen haben keine schönen Bilder in meinem Kopf zeichnen können und die meisten Songs waren mir auf dem ersten Blick unbekannt, sodass ich mich ständig mit hohlen Aufzählungen rumplagen musste.
    Und weil ich eben kaum Emotionen auf mich über gesprungen sind, hab ich ganz kalt auf Logik und Stil achten können … und diese wahrscheinlich negativer bedacht, als es jemand getan hätte, der vom Autor durch vorherige Werke schon angefixt wurde.

    Objektiv, soweit eine Besprechung das überhaupt sein kann, ist das Ganze also wirklich nicht.

  • Antworten Nina September 10, 2009 um 12:49 pm

    Dass die Charaktere etwas anders agieren als sie es sonst gemacht hätten, habe ich darauf zurückgeführt, dass sie sich eben in einer Ausnahmesituation befinden. Heaven wird das Herz gestohlen, da kann man auch schon mal austicken und bloß jammern und weinen und schreien. Oder sich ausnahmsweise mal in den Arm nehmen lassen.
    Dass David seine Platzangst überwindet – nun ja, er hat stellenweise eben keine andere Wahl. Und macht es halt für Heaven. Auch das hat mich nicht gestört.

    Was die London-Szenen angeht… Ich liebe diese Stadt, von daher kann man mir sie gar nicht oft und lang genug beschreiben. Ich lese ja auch bevorzugt Bücher, die dort spielen.

    Ich will das Buch aber auch gar nicht auf Teufel komm raus verteidigen. Nicht, dass das hier so rüberkommt! 😉 Ich finde deine Meinung völlig in Ordnung und lese deine Kritiken auch sehr gerne. Auch wenn wir offensichtlich geschmacklich nicht immer auf einer Wellenlänge sind. Aber so lange man das einzuordnen weiß, kann auch das hilfreich sein. =)

  • Antworten Gilfaen September 10, 2009 um 1:30 pm

    … Die Idee Musikstücke oder aber andere Inspirationsquellen zu nennen, ist nicht wirklich neu. Neil Gaiman oder Maggie Stiefvater sind dafür ein gutes Beispiel.

    Meine Frage ist: Hattest du das Gefühl, er bennent die Musik bzw. die Lieder um Szenen im Nachhinein erklärbarer, realisierbarer zu machen? Sprich nicht als Zusatz, sondern um die Geschichte an sich zu erklären? Sozusagen als Verweis: „Wenn ihr mich näher verstehen oder besser interpretieren wollt, dann nennt dieses und jenes Lied“?

  • Antworten www.kirstenmarohn.de September 10, 2009 um 2:05 pm

    Deine Kritik, Lilly, bestätigt meine Empfindungen, die ich beim Auslesen von „Fabula“ hatte, einem weiteren Christoph Marzi Roman. Der Mann produziert Romane am Fließband wie Stephen King zu seinen besten Zeiten, will heißen, ein oder zwei Bücher mindestens pro Jahr. Dass dabei die Qualität auf der Strecke bleibt, ist eigentlich kein Wunder. Dabei kann Marzi es, wie man in der Lycidas Triologie (plus Lumen) nachlesen kann, dort gab es nämlich noch eine echte Geschichte, wo die Protagonisten mehr handelten, als sich ständig über belangloses zu unterhalten.

    In „Fabula“ wird sich ständig unterhalten, über die banalsten Dinge, viel passieren tut nicht wirklich, und wenn, dann sind das abstrakte Dinge, besonders zum Ende der Geschichte hin, da passierten willkürliche plötzliche Dinge, die ohne Einleitung geschehen und einfach „da“ sind. Etwas, was mich mehr als verwirrt zurücklässt. Willkür ist für mich ein absoluter Showstopper, wo ich ein Buch zur Seite lege.

    Bei Marzi hat es mehr und mehr den Anschein, dass er einen Haufen geschichtlicher Fakten und Städteansichten vorweisen kann, er verfügt da anscheinend über einen unerschöpflichen Quell, aber Informationen alleine reichen nicht aus, aber genau das tut Marzi: Er verknüpft all sein Geschichtswissen und packt all diese Anekdoten aus der Vergangenheiten und sein Wissen über Mythen in einen Roman.
    „Nebenbei“ schreibt Marzi dann noch eine Handlung um seinen Berg aus Informationen, und fertig ist das Buch. Ein Marzi Buch scheint mir mehr und mehr eine Geschichte mit einem winzigen interessanten Handlungskern, eingepackt in einen riesigen Wattebausch aus Legenden, Halbwissen, Städteinformationen und Songs.

    „Lilith“ protzte auch schon so sehr mit Fakten und Geschichtsträchtigem, dass die Geschichte an sich fast unter diesem Berg aus Tatsachen, Namen und Handlungen der Vergangenheit zu ersticken drohte. Und was das musikalische angeht: In „Fabula“ wird an jeder Ecke eine Songzeile genannt, damit nicht genug, die Protagonisten singen sogar! Und, nein, Lilly, selbst wenn man die Songs kennt – Bruce Springsteen und Bob Dylan Songs -, wird es dadurch nicht wirklich erträglicher, das alle paar Seiten zu lesen. Irgendwann ist’s einfach mal gut mit der Heldenverehrung. Ich mag Springsteen auch, aber, herrje, ich muss nicht ständig eine Metapher über The River lesen, um zu verstehen, was der Autor andeuten will. Vor allem stranden diese Andeitungen oftmals im Nichts, man wird zuirückgelassen mit Songzitaten, die keinerlei Erklärung für die Handlung darstellen, als ob Marzi seine Protagonisten einfach nur ständig ein Lied vor sich hinsummen lässt. Das ist auch eine Art, Seiten zu füllen ;o)

    Mich haben in seinen früheren Büchern schon diese ewigen Dylan Andeutungen gestört, dass die Band des Protagonisten Dylan Dogs heißt, dass er ständig Dylan Songs klampft, dass er wie Dylan ausschaut etc.etc. Das ist langweilig und völlig überflüssig für den Handlungsverlauf. „Lydias“ und Co. gehören zu meinen Lieblingsbüchern, aber wie heißt es so schön: Eine Schwalbe macht noch keinen Sommer. Fazit: Von Marzi lasse ich vorläufig die Finger.

  • Antworten www.kirstenmarohn.de September 10, 2009 um 2:16 pm

    @Nina:
    „Die Musik ist so eine marzi-typische Sache, die ich persönlich total toll finde, weil ich mir ein Lied anhören kann und genau die Stimmung nachfühlen kann, die der Autor sich dabei gedacht hat. Finde ich ein nettes Extra. Außerdem erinnern mich manche Lieder dann unweigerlich an bestimmte Bücher oder gar gewisse Szenen.“

    Stimmt. Seit ich „Fabula“ gelesen habe, muss ich bei dem Song „Further on up the Road“ von Bruce Springsteen ständig an dieses Buch denken. Aber dieser verwendete Song ist für mich ein Beispiel, dass Marzi Songs aussucht nach ihrem Text, wie sie gerade in die Handlung passen. „Further on up the road“ ist der totale Kracher, ein lauter Rocksong, der jedenfalls an der erwähnten Stelle von „Fabula“ – der Protagonist fährt ruhig in seinem Auto und sinniert still über seine Vergangenheit und seine Fehler – nicht wirklich passt. Hört man sich diesen Song tatsächlich an und liest dabei diese Passage aus „Fabila“ – na, ich finde, das passt nicht.

    Allerdings muss ich zu Marzis Verteidigung sagen: In „Lycidas“ kommt der Song „I’m in Heaven“ vor (die Engel vom Picadilly Circus), und das passt dann wieder der Deckel auf den Topf. Also, Marzi kann es, wenn er denn will. Ich glaube, dem Mann fehlt einfach nur die Zeit, mal wieder richtig abzutauchen und sich auf eine Geschichte zu konzentrieren. Aber so ist das, wenn man in einem großen Publikumsverlag ist: Du stehst unter Druck, deinen nächsten großen Wurf abzuliefern.

    Was mir von „Fabula“ geblieben ist – wenigstens etwas Gutes ;o) -, ist die entspannte Lebensart. Der Camembert. Das Baguette. Der Rotwein.
    Nur, reicht das, um ein Buch zu füllen???

  • Antworten Nina September 10, 2009 um 2:32 pm

    «Fabula» hat mir zwar gefallen, an die Uralte Metropole kam es für mich aber auch längst nicht heran. Von «Somnia» war ich dann sogar etwas enttäuscht. Es stimmt also, dass Marzi durchaus stärkere und schwächere Phasen hat. Nur weil ich seinen Stil mag, heißt das ja nicht, dass ich weniger Gutes nicht auch sehe. 😉
    «Heaven» war für mich aber mal wieder eines der besseren Bücher.

  • Antworten Lilly September 10, 2009 um 6:57 pm

    Hattest du das Gefühl, er bennent die Musik bzw. die Lieder um Szenen im Nachhinein erklärbarer, realisierbarer zu machen? Sprich nicht als Zusatz, sondern um die Geschichte an sich zu erklären?

    Nein, leider nicht. Dafür waren es einfach zu viele Songs … und Künstler und sogar Filme.
    Und mich hat es genervt. Selbst wenn ich über die Beatles schreibe, kann ich nicht davon ausgehen, dass jeder sofort versteht, worum es geht.
    Etwas geheimnisvolles und mysteriöses kann man damit ja wirklich gut in einen Roman einbauen, aber bitte nicht auf jeder dritten Seite!

    @ Kirsten:
    So wie Du das beschreibst klingen die anderen Werke ja teilweise noch abschreckender. Ich dachte das mit den Songs wäre eine Ausnahme, extra auf „Heaven“ zugeschnitten.

    Dass die Dinge hier willkürlich passieren, war nicht unbedingt mein Eindruck. Aber dass die Story dünn war und eher als Drahtgerüst für zusammenhangslose Lückenfüller (eben Charakteristiken, Stadtbeschreibungen und Musik) dienen musste, kann ich so auch bestätigen.

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