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Neil Gaiman – Coraline

„Die Mäuse können den Nebel nicht leiden“, sagte er. „Davon kriegen sie ganz schlaffe Schnurrhaare.“

coraline
Ich fand den Roman schon länger interessant. Einerseits hat mich der Buchtitel, der Name schon immer gereizt. Ich weiß nicht, woher ich ihn kenne, aber ich bringe ihn mit Fantasy und Märchen in Verbindung – und das schon bevor ich das Buch bewusst wahrgenommen habe.
Da die Geschichte als englischsprachige Ausgabe schon 2002 erschienen ist, das ist immerhin 7 Jahre her, ist es sehr wahrscheinlich, dass ich immer nur bruchstückhafte Informationen aufgenommen habe, die sich als Puzzleteile zu einen unbewussten Ganzen zusammengesetzt haben.
Ein anderer Aspekt ist das wunderschön gestaltete Cover, dem man einfach nicht widerstehen kann.

Das Buch wirft uns ins Leben von Coraline, einem kleinen Mädchen. Man zeigt uns das große Haus, das in vier verschiedenen Wohneinheiten aufgeteilt ist. Coraline und ihre Eltern leben in einer Wohnung mit 21 Fenstern und 14 Türen. Eine davon wurde mit Backsteinen zugemauert, um sie so von einer identischen, leerstehenden Wohnung auf der gegenüberliegenden Seite zu trennen.
Die anderen Bewohner des Hauses sind zwei kauzige alte Damen, die früher einmal berühmte Schauspielerinnen waren und einem verrückten alten Kerl, der einen Mäusezirkus aufbauen will.
Das Mädchen liebt es draußen in der Natur auf Entdeckungstour zu gehen und die Begegnungen mit den anderen Bewohnern. Denn diese haben immer Zeit für sie, im Gegensatz zu ihren von zuhause aus arbeitenden Eltern.
Als sie eines Tages vor lauter Langeweile ihre Entdeckungstouren im Haus ausdehnt, bemerkt sie, dass der Weg in die andere Wohnung nicht mehr verschlossen ist. Sie führt aber nicht auf die andere Seite des Hauses, sondern in eine Parallelwelt, in der fast alles scheint, wie bisher.
Fast. Ihre Eltern interessieren sich plötzlich für sie. Der seltsame Kater, den sie oft vor dem Haus gesehen hat, kann auf einmal sprechen, ihre Spielzeuge führen ein Eigenleben und wenn man ganz genau hinschaut, dann sieht man, dass die Menschen hier keine Augen, sondern nur Knöpfe haben, dass sie sich kalt anfühlen und dass es jemanden gibt, der Coraline und ihre Seele unbedingt in dieser Spiegelwelt festhalten will.

Ist das ganze spannend? Das ist es zweifellos. Man möchte unbedingt wissen, was es mit dieser Welt auf sich hat und ob sie ihr wieder entfliehen kann.
Ist das ganze auch, wie gruselig, wie man es von einem Horrorroman erwartet? Auch das kann ich bejahen. Es ist ein leiser Horror, der sich mehr durch Skurrilitäten, als durch Angst oder Gewalt ergibt. Die Spiegelwelt bewegt sich, nichts ist, wie man es von ihr erwartet. Sie ist verschleiert und zeigt uns in Kokons gefangene Lebewesen und Ratten mit roten Augen. In dieser Welt ist Liebe eine Art verzerrte, orgeltonartige Friedhofsmusik und Abenteuer und Spielzeug nichts weiter als grässliche Parodien der Realität.
Kommen wir aber zur dritten Frage- nämlich ob das ganze auch rund ist- dann kann ich leider nur den Kopf schütteln.
Was ist das für ein merkwürdiger Ort? Wer ist diese andere Mutter, die offensichtlich nichts Gutes im Schilde führt, Coraline gegenüber dennoch nur Zuneigung empfindet? Und warum hilft der Stein von den kauzigen Damen der Kleinen alle Gefahren zu überwinden?

Wäre dies ein Buch für Erwachsene, hätte ich mir gewünscht, dass diese Spiegelwelt etwas tiefer thematisiert worden wäre. Etwa als schwarze Seite der Medaille. Dem Ort, an dem nur das dunkle der Menschenseelen leben würde, an dem man ihre bittersten Geheimnisse erfahren könnte.
Dass das für ein Kinderbuch etwas zu weit geht, versteht sich von selbst. Aber irgendeine Art von Erklärung hätte ich mir doch erhofft.
Allein schon, um den Kindern eine Art Logik aufzuzeigen und dem gezeichneten Bild etwas von seiner Grausamkeit zu nehmen.

Märchen sind mehr als nur wahr –
nicht deshalt, weil sie uns sagen,
dass es Drachen gibt,
sondern weil sie uns sagen,
dass man Drachen besiegen kann.

… steht auf der ersten Seite. Ein Satz von G.K. Chesterton.
Wahrscheinlich wollte der Autor damit den Inhalt seines Romans umreißen.
Das ist ihm meiner Meinung nach nicht gelungen. Märchen, Abenteuer und Drachen haben selten etwas unabdingbar Bedrohliches. Es wird gezeigt woher sie kommen, jeder weiß, was sie sind – und wenn man sie besiegt hat, kann das Leben normal weitergehen.
Das ist aber nicht das gleiche, wie Gaimans Parallelwelt, von der man nicht weiß woher sie kommt, wie viele es geben mag und die man mit eigenen Kräften nicht zerstören kann.

Wirklich gut fand ich aber die Rolle des Katers. Der schwarze Freund von Coraline wurde mit allen Charakterzügen einer echten Katze ausgestattet. Katzen sind keine Menschenfreunde, sie sind aber auch keine Feinde. Sie lassen sich nicht drücken, knuddeln und besitzen, können aber trotzdem loyale Wegbegleiter sein.

Und am Ende hat dieser kurze Roman trotz seiner Unvollkommenheit und seiner zu dunkel gezeichneten Bilder sogar eine Moral:
Das wirkliche Leben ist doch am schönsten und der Reiz besteht darin nicht alles zu bekommen, was man sich wünscht.
In diesem Sinne: Kinder, greift lieber zu Harry Potter!

3 Ratten

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7 Kommentare

  • Antworten Rae Juli 16, 2009 um 10:06 pm

    Ich finde es interessant, dass du mit diesem Blogbeitrag eine Diskussion aufgreifst, die es seit 2002 um diesen Roman gibt: Ist er für Kinder geeignet?

    Da ich mich schon lange mit Gaimans Werken befasse und großer Fan von ihm bin, habe ich, gerade in letzter Zeit, seit der Film weltweit in die Kinos gekommen ist, ziemlich viel davon mitbekommen.
    Interessant fand ich vor allem, dass viele Erwachsene aufgeschrieen haben, dass dieses Buch nichts für Kinder wäre, weil es viel zu gruselig wäre und Kinder daraufhin meinten „Wieso? Es ist doch nur ein Buch.“

    Ich weiß nicht mehr, welcher Artikel es war, aber in einem stand, dass Kinder oft unterschätzt werden in dem, was sie für zu gruselig halten könnten (wie z.B. auch den letzten bzw. die letzten zwei Harry Potter Bände). Darin stand unter anderem auch, dass Kinder sehr viel besser einschätzen können, was sie für (zu) gruselig halten, als wir. Wenn sie etwas gruselig finden, wie zum Beispiel bestimmte Szenen im Film, dann hören sie auf sich damit zu beschäftigen. Sie schließen die Augen oder hören auf zu lesen.
    Als Kind hätte ich diesen Roman wohl noch mehr verschlungen, als ich es Erwachsene (oder zu diesem Zeitpunkt als Teenager) getan habe.
    Und ich bin mir sicher so geht es vielen. Von daher finde ich nicht, dass man sagen kann, dass dieser Roman nichts für Kinder ist.
    Aber wie gesagt, diese Diskussion gibt es schon seit es das Buch gibt und es gibt sie mit jedem neuen „Kinder“buch, das er veröffentlicht. Von daher ist es wohl nicht verwunderlich, dass er selbst sagt, dass er es nicht gut findet, wenn Bücher in Altersklassen unterteilt werden.

    Ist es das erste Buch, das du von Gaiman gelesen hast?
    Eine Sache haben alle Seine Romane gemein und ich finde es persönlich schwer in Worte zu fassen. Du hast geschrieben, dass du dir eine Erklärung erhofft hattest, aber diese fehlt in allen von Gaimans Werken und ich persönlich finde, dass es einen der Reize seiner Geschichten ausmacht.
    Dass er Sachen so erzählt, wie sie sind (in den Geschichten) ohne, dass er sie erklärt. Er stellt für uns Unbegreifliches und Absurdes als unumstößlichen Fakt hin, weil es in dieser, seiner, Welt nunmal so ist. Und ich finde, so, ohne die Erklärung, die wir als Außenstehende vielleicht bräuchten, macht es das Ganze noch… greifbarer. Ich möchte nicht sagen, realer, aber es gibt den Geschichten das gewisse Etwas und ich wollte es nicht missen.
    Du schriebst auch, dass du dir eine Erklärung wünscht um den Kindern eine Art Logik aufzuzeigen und dem Bild etwas von seiner Grausamkeit zu nehmen, aber würde er dadurch nicht die Geschichte und vor allem die Atmosphere der Geschichte an sich schwächen?
    Ich finde schon.
    Aber trotzdem verstehe ich durchaus, dass das nicht für jeden etwas ist und dass manche Leute einfach eine Erklärung brauchen und wollen. Wie gesagt, ich finde es erfrischend und anders und es gehört für mich zum Charm seiner Bücher.

  • Antworten Fleur Juli 17, 2009 um 12:40 am

    Das erinnert mich daran, daß bei mir mal wieder der nächste Gaiman-Roman dran wäre. Warum also nicht Coraline? (Ich hab deine Rezension jetzt auch nur ganz oberflächlich gescannt, um mich nicht allzusehr zu spoilen – ein bißchen was wusste ich eh schon über den Plot.)

  • Antworten Lilly Juli 17, 2009 um 2:21 am

    @ Rae:
    Ich bin bei Kinderbüchern sonst eigentlich nicht so. Harry Potter ist am Ende zwar kein wirkliches Kinderbuch mehr, aber ich finde nicht, dass Kinder da mit allzu schlimmen Dingen konfrontiert werden.
    Natürlich, Menschen sterben und es gibt eine Reihe merkwürdiger Gestalten. Aber man hat immer eine Art Urvertrauen, das Wissen, dass das Gute am Ende doch siegen wird.
    Coraline finde ich garnicht allzu furchteinflößend – ich habe nicht im Bett gelegen und mich gegruselt, wie bei vielen anderen Büchern. Aber diese Bilder in meinem Kopf … Kokons und Ratten, klatschende Hunde, ewig andauernde Bühnenauftritte, abgetrennte Hände, wächsern verformte Lebewesen und eine verschwommene Welt … das ist aufwühlend.
    Ich habe das Kind in mir noch nicht verloren. Abenteuergeschichten haben mich nie nervös gemacht.
    Aber es gab da ein wunderschönes Kinderbuch (leider habe ich es nie wieder gefunden), indem der Wind eine Wolke heiratet und so die Mutterwolke von ihrem Kind trennt.
    Allein die Atmosphäre hat mich total verwirrt und mir viele Träume beschert.
    Das gleiche bei einem Kinderfilm, der der rote Handschuh hieß. Es ging um ein Mädchen namens Emily, dass sich nicht an die Regeln gehalten hat und um Mitternacht, wie angedroht, geholt worden ist.
    Von wem? Wohin ist sie? Was ist mit ihr passiert? Niemand wusste das. Das ist der schlimmste Horror, den ich mir damals vorstellen konnte.
    Diese ekelhafte Atmosphäre, die Ungewissheit – ich bin nachts schreiend aufgewacht.

    Ich gebe Dir recht, Kinder brauchen a) keine Logik und kommen b) mit vielen Dingen viel besser zurecht, als die Erwachsenen vermuten.
    Aber ich gehe da immer von dem Kind in mir aus … und das nimmt nur Märchen und die Schönheit der Welt als gegeben an, nicht aber das Böse und Unerklärliche.

    Nein, ich kannte bisher nichts von Gaiman. Eigentlich wollte ich mir noch andere Sachen von ihm anschauen, aber Du hast mich verunsichert.
    Ich mag es nicht, wenn man Dinge als gegeben hinstellt und damit die Logik abhanden kommt.
    Ich habe nichts gegen die Erschaffung von neuen Welten und einer simplen Erklärung á das ist hier eben so.
    Aber in Coraline ist er von unserer Welt ausgegangen, von dem Leben, wie wir es alle kennen.
    Er hat Fantastisches dazugesponnen, was nicht verkehrt ist, aber es einfach nicht erklärt.
    Zwei Welten ohne Übergang darzustellen, kann man als künstlerisch kreativ bezeichnen.
    Aber abgesehen davon, dass ich von solchen Dingen nicht viel halte, finde ich es für Kinder absolut ungeeignet.
    Kinder sollten der Realität entfliehen können, sich dabei aber dennoch immer in Sicherheit wissen.

    Und wenn ich ehrlich bin, diese Sicherheit brauche ich auch noch als Erwachsene.
    Mittlerweile habe ich gelernt solche Horrorszenarien einfach abschütteln zu können, wenn sie mir nicht schmecken. Aber wohl fühlen tu ich mich in derartigen Geschichten nicht.

  • Antworten Rae Juli 17, 2009 um 11:23 am

    Bekommt man diese Sicherheit nicht mit dem guten Ende? Auf seine Weise hat Gaiman immer Happy Ends in seinen Büchern. wie du schon sagtest, das Gute siegt.
    Jedoch verstehe ich nicht, dass du glaubst Kinder würden sich nicht in Sicherheit fühlen, wenn sie Bücher mit solch fließenden Übergängen lesen.

    Es tut mir wirklich sehr, sehr Leid dich verunsichert zu haben und dich ins Zweifeln zu bringen ob Gaiman wirklich etwas für dich ist, weil ich seine Werke so liebe.
    Bitte lass dich nicht von mir abbringen noch mehr von ihm zu lesen.
    Seine anderen Bücher haben weniger Gruselelemente. Es ist schon lange her, dass ich „Coraline“ gelesen habe und weil ich das Buch nicht so präsent haben wollte, bevor ich den Film sehe (um Vergleiche zu vermeiden) habe ich es, auch wenn ich gerne wollte, nicht noch einmal gelesen.
    Jedoch weiß ich, dass er kein annähernd gruseliges Buch geschrieben hat. Selbst „The Graveyard Book“ nicht, auch wenn der Einleitungssatz etwas anderes verspricht.
    Ich würde dir raten, probier einfach noch ein oder zwei Bücher von ihm aus, um zu sehen, ob sie etwas für dich sind.
    „The Graveyard Book“ hat nicht umsonst The Newberry Medal bekommen und ist mein absolutes Lieblingsbuch von ihm, dicht gefolgt von „American Gods“. Ersteres ist so wundervoll melancholisch und verträumt.
    Um zu testen ob es etwas für dich ist, musst du es übrigends nicht unbedingt gleich kaufen. Auf seiner Website sind ein paar Videos, in denen er das gesamte Buch vorliest, zu finden. Da kannst du ja mal reinhören. Auch wenn ich wieder sagen muss: Das Buch ist nicht so düster und bedrohlich, wie der Anfang vermuten lässt 😉

  • Antworten Lilly Juli 17, 2009 um 4:02 pm

    Ich werde sicher irgendwann nochmal in ein weiteres Buch reinlesen, um mir dann eine endgültige Meinung zu bilden.
    Zwei Chancen haben Autoren bei mir immer gut, wenn sie mich nicht total enttäuscht haben.
    Und das hat Gaiman ja nicht, es war ja ein 3-Ratten-Bewertung.
    Es muss Dir also nicht leid tun. 🙂

  • Antworten Fleur Juli 17, 2009 um 10:07 pm

    „Ich habe nichts gegen die Erschaffung von neuen Welten und einer simplen Erklärung á das ist hier eben so.
    Aber in Coraline ist er von unserer Welt ausgegangen, von dem Leben, wie wir es alle kennen.
    Er hat Fantastisches dazugesponnen, was nicht verkehrt ist, aber es einfach nicht erklärt.
    Zwei Welten ohne Übergang darzustellen, kann man als künstlerisch kreativ bezeichnen.
    Aber abgesehen davon, dass ich von solchen Dingen nicht viel halte, finde ich es für Kinder absolut ungeeignet.
    Kinder sollten der Realität entfliehen können, sich dabei aber dennoch immer in Sicherheit wissen. “

    Ich weiß nicht… als Kind war für mich das fantastische in der normalen Welt – normal. Und ich stand trotzdem mit beiden Beinen fest auf dem Boden und konnte unterscheiden und hab auch von Büchern keine Alpträume gekriegt. Aber ich mochte es schon immer (und mag es immer noch), wenn man mir das Gefühl vermittelt, daß jederzeit hinter der nächsten Ecke ein Kobold auftauchen könnte.

  • Antworten Lilly Juli 17, 2009 um 10:25 pm

    @ Fleur:
    Das ist bei mir nicht anders. Ich schaffe es wohl nicht auf den Punkt zu bringen, was genau ich meine.
    Bei Harry Potter fängt die Schlange auch mitmal zu reden an … und viele übernatürliche Dinge passieren, obwohl Harry sich in einer total rationalen Welt sieht.
    Aber die zweite Welt, die der Zauberer und Hexen, wird dann auch thematisiert und von den der Muggel abgegrenzt.

    In Coraline gab es diese andere Welt- ohne Sinn und Zweck. Woher kam sie? Was ist sie? Was soll sie bezwecken?
    So wie ich es hier herauslese, stellt sich nicht jeder diese Frage.
    Aber ohne ein paar Andeutungen und Erklärungen zu bekommen, ist die Existenz der Spiegelwelt (für mich) genauso banal, wie eine Geschichte, die mir erzählt, dass eine Fliege an einem Menschen vorbeifliegt.
    Wie ein schlechter Drogentrip: lauter verzerrte Masken und Bilder, aber kein Sinn dahinter.

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