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Heiko Wolz – Spinnerkind

Spinnerkind ist die Geschichte vom jungen Jakob McGhee, der, während er versucht den Weg des Erwachsenwerdens zu beschreiten, ständig von seinen verrückten Eltern als Spielball benutzt wird. Obwohl sie ihn lieben, bringen beide ihn ständig mehr oder wenig unabsichtlich in Gefahr, um sich anschließend gegenseitig zu beschuldigen.

Wer auch immer jemals dachte, kein deutscher Autor könnte Geschichten und Gestalten erfinden wie John Irving, der sollte Heiko Wolz lesen.

… steht auf dem Buchdeckel. Ein deutscher John Irving. Wahnsinn. Ich glaube ich habe das Buch allein aus dem Grund gekauft, um mein Vorurteil bestätigt zu wissen: „Niemand schreibt annähernd so, wie John Irving.“
Ich glaube damit habe ich Heiko Wolz ein wenig unrecht getan. Ich war erstaunt wie viele Stilelemente dieser Geschichte mir bekannt vorkamen:

  1. Die Erzählung ist nicht annähernd chronologisch. Schon auf den ersten Seiten wird davon erzählt, dass die Eltern von Jakob McGhee sich scheiden lassen und dass Jakobs Vater ihm unabsichtlich zwei Rippen brach. Erst am Ende liest man im Detail, wie es dazu kam.
    Es ist dieses typische „Wenn A damals gewusst hätte, was mit ihr passieren würde, dann hätte sie anders gehandelt.“ Praktisch eine Vergangenheitserzählung, die immer wieder vorgreift- was in zwei Monaten geschehen würde oder was in 10 Jahren, um dann wieder zur Vergangenheit zurückzukehren mit dem Irving-typischen Satz: „Aber davon wusste B noch nichts, als er dies und jenes tat.“
  2. Die Figuren sind sehr kauzig und eigenwillig. Sie zünden vor Wut Autos an, rennen nackt durchs Haus, stecken sich Bleistifte in die Ohren, experimentieren mit Heißluftballons und Kanonen und verleugnen ihren Namen, sowie ihre Vergangenheit.
  3. Die Umgebung ist skurril gestaltet. Familie McGhee lebt in einem Haus, das so groß sein soll, dass sich Jakob oft darin verläuft. Draußen steht eine Davids-Figur im Brunnen, dem das Wasser nicht durch den Penis, sondern durch das Bein rinnt, weil es kaputt ist. Im angrenzenden Wald hält sich ein Elefant auf, der von irgendwelchen Zirkusbesitzern freigelassen worden ist. Auch von Flamingos wird erzählt. Obwohl diese Tatsachen für die Handlung nur wenig bis gar keine Bedeutung haben, werden sie immer wieder mit einbezogen.
  4. Man beschränkt sich nicht auf eine Person; alle erwähnten Namen werden von vielen Seiten beleuchtet. Teils wird die Biografie einiger Charaktere erzählt, teils beschränkt er sich auf skurrile Erlebnisse, die sie hatten.
  5. Drama! Es gibt viel Drama und viel Leid, das beim Leser zwar durchaus nachklingt, von Heiko Wolz aber sehr nüchtern beschrieben und recht schnell wieder abgetan wird.

All diese Punkte konnte ich auch in Irvings Werken beobachten. Sie unterscheiden sich aber trotzdem vom echten Meister, weil:


  1. Diese durcheinander gewürfelte Erzählung nur dann typisch Irving ist, wenn man ein ewig dickes Buch hat und über mehrere Generationen berichtet. „Spinnerkind“ ist nur 170 Seiten lang und konzentriert sich hauptsächlich darauf, was dem 15-jährigen Jakob McGhee widerfährt.
  2. Jede Figur wirkt skurril; das ist etwas zu viel des Guten. Außerdem wurden sie nicht tief genug beschrieben. Man hat zwar die Vergangenheit der Mutter angedeutet; die Tatsache, dass sie sich schämt Deutsch zu sein, ihre ständigen Anzeigen haben aber etwas vom Kellner aus „Zirkuskind“, der alles und jeden missbilligt – und zwar ständig. Dafür, dass Rachel McGhee aber eine der Hauptfiguren ist, ist diese Beschreibung, wenn auch witzig, viel zu stereotyp. Ähnlich verhält es sich mit Guinness McGhee. Ich habe bis zum Schluss nicht herausfinden können, was wirklich in ihm vorgeht.
  3. Ich fand das sehr unglaubwürdig. Unser Universitätsgebäude ist riesig und ich kenne jeden Winkel. Wie kann es sein, dass man sein Elternhaus nicht richtig kennt? Dass ein Elefant draußen herumwandert, fand ich sehr gezwungen. Warum fängt man ihn nicht? Wie kann er allein überleben? Und was für eine Bedeutung sollte das haben? Allein das mit der David-Figur ist recht witzig.
  4. Dadurch, dass das Buch so kurz war, Wolz aber trotzdem jedem Charakter eine entscheidende Rolle gegeben hat, gab es keine Handlung – oder zu viel Handlung, das kommt auf den Blickwinkel an. Das, was man über jeden einzelnen erfahren hat, war sehr ausführlich und auch spannend. Die Gesamthandlung hat es aber kaum voran gebracht. Was das Buch wirklich sagen wollte, weiß ich nicht. Bei John Irving ist mir das noch nie passiert.
  5. Die Nüchternheit passt zu Johnny-Boy. Allerdings ist die Scheidung der Eltern nicht mehr wirklich etwas, das ich als Drama bezeichnen würde. Es ist zu wenig für ein Buch! Lediglich die Tatsache, dass Jakobs Vater seine Beine verliert, erinnerte mich etwas an Win Berry in Hotel New Hampshire, der sein Augenlicht verlor.

Ich finde es sehr eindeutig, dass versucht worden ist John Irving nachzuahmen. Das funktioniert natürlich nicht. Nicht, weil ich niemand anderem zutraue ein großer Schriftsteller zu werden, sondern, weil jeder einen ganz eigenen Schreibstil hat- und eine Kopie niemals mehr sein kann als das Original.

Betrachtet man diesen Roman jedoch ganz nüchtern ohne ihn zu vergleichen, dann hat man eine kleine, witzige und kurzweilige Geschichte, wie das Leben sie immer dann schreibt, wenn man genauer hinschaut.
Ich spreche also trotz meiner Kritik eine Empfehlung aus und rate allen, die an dieser Geschichte interessiert sind, sie schnellstmöglich zu besorgen. Der Addita-Verlag hat seine Tätigkeiten eingestellt, weswegen Amazon nur noch zwei Romane auf Lager hat.

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