
Heaven – Stadt der Feen, das kann doch nur ein Abenteuer werden, habe ich gedacht. Was mich dann allerdings erwartet hat, glich einer kleinen Katastrophe.
Warum mich das Buch paradoxer Weise trotz allem nicht enttäuscht hat, erzähle ich Euch später.
Zunächst einmal zum Inhalt:
David, der als Bote für eine alte Buchhändlerin arbeitet und sich auf den Dächern von London zuhause fühlt, stolpert eines nachts über ein junges hübsches Mädchen namens Heaven, das behauptet ihr wäre gerade das Herz gestohlen worden.
Von ihrer Schönheit fasziniert, beschließt David sie mit zu sich nach Hause zu nehmen und ihr zu helfen. Gemeinsam verstecken sie sich vor den zwei schauerlichen Gestalten, die noch immer auf der Jagd nach Heaven sind und versuchen herauszufinden, was es mit ihnen auf sich hat.
Die Protagonisten
David ist von dem exotischen und geheimnisvollen Mädchen sehr angetan. Ich persönlich fand sie furchtbar. Furchtbar unsympathisch, furchtbar egozentrisch und furchtbar klischeehaft. Sie geht in der Rolle des armen reichen Mädchens auf, obwohl sie keinerlei Zwängen unterworfen wird. Sie ist frei wie der Wind und kann tun und lassen, was sie möchte.
Es wird gesagt, dass Heaven mit anderen Leuten generell nicht über sich spricht, oder aber Märchen erfindet. Es wird nie erwähnt, dass wir es mit einer kleinen Lügnerin zu tun haben, aber wie sonst soll man das interpretieren?
Ständig jammert sie, bemitleidet sich selbst, schreit dramatisch durch die Gegend oder weint. Sie sei so unendlich kompliziert und stecke ja so tief in der Scheiße, sagt sie immer wieder.
Es gibt auch eine Szene, die man so deuten könnte, als würde sie David im Stich lassen. Sie wird gezwungen etwas zu tun, um ihm zu helfen, weigert sich aber standhaft. (was David natürlich absolut verstehen kann). Nachdem er in Sicherheit ist, überlegt Heaven es sich jedoch anders und stimmt der Sache freiwillig und mit gutmenschlichem Heiligenschein zu. Sprich: um sich selbst ins rechte Licht zu rücken, ist sie bereit Dinge zu tun. Nicht aber um anderen zu helfen.
Sie besitzt nicht ein Stück Heldenhaftigkeit, nichts, was wirklich bewundernswert ist.
Alles an ihr ist nur gespielte Stärke und Trotzigkeit, die man ständig durchschaut. Sie würde ja niemals lieben wollen, weil die Gefahr bestünde, dass man die Person irgendwann verliert. Geht es noch kitschiger? Ich erwähne lieber nicht, dass am Ende aber genau das passiert, was man ihr am liebsten sofort an den Kopf geworfen hätte.
David selbst ist sympathisch und hilfsbereit. Ich finde es allerdings traurig, dass Marzi seine Figuren nicht großartig handeln lassen hat. Sie zeigen sich dem Leser durch Beschreibungen und Dialoge- Sie drücken ihre Persönlichkeit also weniger durch Leben und Sein aus, sondern fast ausschließlich durch Endloserzählungen, bei denen man sich fragt, warum das jetzt wichtig ist. Immer wieder kommt der Autor auf Davids schlimme Vergangenheit zu sprechen. Ich verstehe ja, dass er ihn charakterisieren wollte, aber er hat damit einen künstlichen Konflikt geschaffen, der mit dem Hauptkonflikt des Buches überhaupt nichts zu tun hatte, und auch sonst kaum in den Roman mit eingeflochten werden konnte.
Ich habe mal irgendwo gelesen, dass man alles, was nicht essentiell für die Story ist, weglassen sollte. Und ich stelle die Behauptung auf, dass die Geschichte ohne Davids Hintergrund genau die gleiche gewesen wäre.
Fiktion und Realität
Besonders langweilig fand ich auch die endlosen Londonbeschreibungen. Ich habe mich teilweise gefühlt, als würde ich einen Reiseführer lesen. Ein altes Kinocafé hier, die Themse dort, ein Betonviertel da usw. Das allein wäre ja noch nicht einmal so schlimm, wenn man sich nicht ständig fragen müsste: Gibt es das jetzt echt? Oder hat der Autor das wieder nur erfunden?
Er spricht zum Beispiel auch ganz selbstverständlich davon, dass der Stadt in einem Bezirk der Himmel fehlt. Ich bin zunächst davon ausgegangen, dass man dort eben einfach keine Sterne sehen könnte, was ja normal für eine Großstadt ist. Aber er sprach tatsächlich davon, dass da oben einfach nichts ist, dass der Himmel heruntergestürzt ist.
Obwohl das schwachsinnig ist, hat er mich damit wirklich so sehr verunsichert, dass ich es nachgoogeln musste.
Natürlich besitze ich etwas Fantasie, das ist nicht das Problem. Aber eine Welt, in der Facebook und die Wirtschaftskrise mit Feen und Geistern verbunden werden, ist verwirrend. Der Übergang von absolut brutaler und kalter Realität ins Reich der Märchen ist zu hart und zu selbstverständlich dargelegt.
Wenn man Sex und die Beziehung einer 28-jährigen zu einem Minderjährigen thematisiert, sollte man meinen, dass der Zielgruppe des Romans eine gewisse Reife zugetraut wird. Warum erzählt man dann Dinge von einem heruntergefallenen Himmel, die ein rational denkender Erwachsener sich überhaupt nicht vorstellen kann?
Für ein kleines Märchen ist das durchaus eine süße Idee, aber Marzis Geschichte ist definitiv nicht süß.
Die Musik
Im Nachwort erwähnt der Autor, dass es das Buch ohne diverse Musikstücke wohl nicht gegeben hätte. Das finde ich toll. Es ist spannend zu erfahren, was die Inspirationsquellen eines Schriftstellers sind. Was er sich allerdings hätte sparen können, sind die Endlosaufzählungen von Künstlern und Songs im Roman selbst.
Kann man davon ausgehen, dass die meisten Titel bekannt sind und dem Leser sofort im Ohr klingen? Nein!
Was kann der Ottonormalverbraucher also damit anfangen, dass für praktisch jede Szene und Stimmung ein Song genannt wird?
Das Gesamtkonstrukt und das Unerklärliche
Zur Einführung in fantastische Welten kenne ich nur zweierlei Methoden. Entweder man geht von der Welt, wie wir sie kennen, aus, und erklärt dann all die übersinnlichen Phänomene- etwa wie bei Harry Potter, oder man zeigt direkt die gesamte Fantasy-Welt und stellt alles als gegeben dar.
Marzi hat es anders gemacht, und hat mich damit eher verärgert, als unterhalten. Wie schon oben erwähnt mischt er zwei Welten, die nicht wirklich zusammenpassen, ohne weiter darauf einzugehen. Und wann immer etwas Übersinnliches passiert, kommt David mit seiner „Wie würde der Held in einem Hollywoodfilm nun reagieren?“- Masche. Die Antwort, die er meist darauf findet, lautet: „Er würde das Unfassbare akzeptieren. Also tu ich das jetzt auch.“
Und damit war die Sache erledigt. Herumtanzende Leichen, Rattenkatzen oder Geister; die beiden Protagonisten haben sich nur kurz daran gestört, und sind dann derart natürlich mit der Situation umgegangen, dass es schon etwas Peinliches an sich hatte.
Die ganze Geschichte lässt ihr wackeliges Konstrukt durchschimmern und entbehrt sich an mehreren Stellen der Logik. Vermeintliche Bösewichte werden plötzlich mit Barmherzigkeit betrachtet, Gewalt wird weder aus Böswilligkeit, noch aus nachvollziehbaren Gründen angewendet, sondern nur um den Leser zu verwirren, und die Auflösung ist eher unglaubwürdig und kindisch gestaltet.
Oh diese Vergleiche!
Auch wenn die Beschreibungen hier und da langatmig waren, konnte man den Roman recht flüssig und immer eben weg lesen. Nur über eine Sache bin ich gestolpert, und zwar des öfteren – über total doofe Metaphern.
Einige Beispiele gefällig?
Ihre Erinnerungen waren wie eine verwelkte Blume, an der sie ständig riechen musste.
Ihre Lider flatterten wie Schmetterlinge, die den Sommer nicht mehr erleben dürfen.
Furcht schwamm in ihm, wie Tränen hinter Glas.
Ich bin wirklich ein Fan von bildhafter Sprache. Aber wer riecht gern an verwelkten Blumen? Flattern Schmetterlinge nicht auch dann, wenn sie den Sommer noch erleben dürfen? Und was hat es mit Tränen hinter Glas auf sich?
Wir wollen nicht alles schlecht reden
Natürlich gab es auch tolle Dinge. Die alte Buchhändlerin und ihr Büchershop haben mir gut gefallen, genau wie die Thematisierung von Charles Dickens im allgemeinen und seine „Großen Erwartungen“ im speziellen, oder auch der Bücherliebhaber, der Antiquare sammelt und seiner verstorbenen Frau daraus vorliest.
Aber diese Ansätze können natürlich mitnichten all das aufwerten, was mich gestört hat.
Das Buch hat überhaupt nicht meinen Geschmack getroffen, aber erstaunlicher Weise hat es Spaß gemacht. Nicht es zu genießen, das war nicht möglich, sondern es zu analysieren.
Und das habe ich dann auch wirklich gründlich getan, was ihr an dieser Besprechung sehen könnt.
Und weil ich Spaß dabei hatte und das Gefühl ein Stück weit mehr gelernt zu haben, wie man gute Bücher NICHT schreibt, empfehle ich Heaven – Stadt der Feen allen Hobbyautoren und -schriftstellern.
Vielleicht gefällt es (ich habe bisher nur positive Rezensionen gelesen), vielleicht auch nicht. Umsonst wird die Lektüre aber sicher nicht sein.