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Matt Ruff – Ich und die Anderen

Endlich habe ich es geschafft ein wunderschönes Weihnachtsgeschenk zu lesen und ärgere mich fast, dass ich diese Lektüre nicht früher in die Hand genommen habe.


Das Buch handelt von Penny und Andrew, zwei Fremde, die zueinanderfinden, da Andrews Chefin und beste Freundin Julie beide in ihrer Computerfirma beschäftigt.
Haben beide auf den ersten Blick keine Gemeinsamkeiten, erfährt der Leser nach und nach von ihren jeweils schrecklichen Vergangenheiten und von Ihren multiblen Persönlichkeitsstörungen.
Während sich Andrew seiner verschiedenen Persönlichkeiten, Seelen, wie er sie nennt, bewusst ist, hat Penny immer wieder Blackouts und kann sich nicht erklären, was mit ihr geschieht. Andrew ist nicht der Ursprungscharakter seines Körpers- er ist nur eine weitere Seele der kleinen Andrea Gage, die jahrelang von ihrem Stiefvater sexuell missbraucht und von der Mutter im Stich gelassen worden ist. Mithilfe einer kompetenten Psychotherapeutin ist es einer starken Seele von Andrea, nämlich Aaron, gelungen im Kopf ein Haus zu bauen, in welchem alle Seelen einander begegnen und miteinander leben konnten. Da er sich selbst zu verletzt, zu schwach und zu müde fühlte, um den Körper zu leiten, schuf er eine neue Seele, die ihm sehr ähnlich ist und nannte sie Andrew. Im Gegensatz zu allen anderen Seelen hat Andrew keine Erinnerungen an das, was damals geschehen ist. Er kann bei null anfangen und bekommt die Aufgabe und die Chance ein unbeflecktes Leben aufzubauen.

Aber es kommt anders. Da Andrew heimlich in Julie verliebt ist und ihr keinen Wunsch abschlagen kann, erklärt er sich bereit Penny zu helfen, damit auch sie sich ein Haus in ihrem Kopf bauen kann. Penny wuchs mit einer psychisch kranken Mutter auf, die keine Möglichkeit ausließ, um ihre Tochter einzuengen, zu kontrollieren, zu erschrecken, zu schlagen und zu tyrannisieren. Ihre Seelen bildeten sich heraus, um den Körper aufzufangen, in Momenten in denen Penny sich nichts sehnlicher wünschte, als an einem anderen Ort zu sein, und um ihr mithilfe von Notizen zu helfen das Leben mit ihrer Mutter zu ertragen.
Nach einigen Geschehnissen, die ich nicht verraten will, um nichts vorwegzunehmen, bricht bei Andrew das Chaos aus. Er merkt, dass er psychisch doch noch nicht so stabil ist, wie er dachte. Die Seelen seines Hauses, vor allem eine verbannte Seele, die mit der Hausordnung nie einverstanden war, geben sich die Klinke in die Hand und wechseln sich in seinem Körper ab. Die meisten wollen zurück zum Ort von Andreas Kindheit, um herauszufinden, wie der Stiefvater starb – und ob einer der Seelen dafür die Verantwortung zu tragen hat. Und wie das Schicksal so mitspielt, kommt es zufällig dazu, dass Penny- wiederum mit ihren verschiedenen Seelen, von denen sie nun weiß, dass sie existieren, die sie aber nicht kontrollieren kann, Andrew begleitet.
Eine bunte, aufregende und verrückte Reise beginnt und bringt mehr zutage, als der Leser vermuten mag.

Der Roman ist irrsinnig witzig, was vor allem an den skurrilen Seelen liegt. Da gibt es in Andrews Hausgemeinschaft Tante Sam, eine feine Lady und Kunstliebhaberin, die keine Möglichkeit auslässt ein Stück Kuchen zu ergattern, Adam, den vorlauten und machomäßigen Teenager oder Jake, das Kind. Bei Penny, die witziger Weise in allen erdenklichen Situationen quiekt (wirklich wahr ^^) ist es die sexsüchtige Loins oder die assoziale und versoffene Maledicta, die keine Gelegenheit auslässt ihren Jargon zu präsentieren, der in etwa so klingt:

Du weißt nicht, wer ich bin, weil du mich den ganzen verfickten Scheißtag lang ignoriert hast, so getan hast, als wär ich Luft. Vor einer Viertelstunde hättest du dich mit deinem fetten Tuntenarsch um ein Haar auf mich draufgesetzt. Deswegen hast du keine Ahnung, wer ich bin, aber ich kann dir sagen, wer ich nicht bin. Ich bin nicht die Fotze, die die Sachen zwischen dir und Sam versaut hat. Das hast du höchst eigenhändig verbockt, du blöder Arschficker […]

Nicht, dass es gutzuheißen wäre, dass Hauptpersonen Stereotypen entsprechen, aber man muss ja beachten, dass es sich dabei um einzeln abgespaltene Charaktereigenschaften handelt, die in Form von Personen verkörpert werden.

Aber der Roman ist auch ernst und traurig. Matt Ruff beschreibt nicht viele Einzelheiten des Missbrauchs, benutzt keine starken Wörter und bleibt herrlich unsentimental, wie man so schön sagt. Aber er beschreibt Situationen, die den Leser sofort gefangen nehmen und ihm die Ahnung eines Gefühls vermitteln, dass einem sofort glauben macht, das Penny und Andrew gar nicht anders sein können, als sie sind.

Nicht ganz glaubwürdig fand ich, dass Andrews Körper weiblich ist, was aber niemand, vor allem Julie nicht ahnt, während er in seinem Heimatort als attraktive junge Frau bezeichnet wird. Wie muss so jemand aussehen?
Andere bemängeln, dass es so eine multiple Persönlichkeitsstörung nicht wirklich gibt und schon gar nicht in dem Umfang, indem Matt Ruff sie beschreibt. Aber das ist mir egal. Romane sind Fiktionen, sie zeichnen jeweils eine ganz neue Welt. In seiner Welt, in diesem Roman gibt es diese Krankheit und all diese Symptome. Und er schildert sie so glaubhaft, dass es an manchen Stellen schwer vorstellbar sein soll, dass er sich das alles nur ausgedacht hat.

Eines der besten Bücher, das ich je gelesen habe.

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