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Sybille Berg – Der Mann schläft

In Der Mann schläft erzählt eine in die Jahre gekommene Frau mit Sozialphobie von ihrem Leben und ihrem Lebenspartner. Sie war schon immer eine stille Genossin, die eigentlich nie etwas anderes wollte, als ihre Ruhe. Aber als der Mann bei einer gemeinsamen Chinareise verschwand und nicht zurückkam, verwandelte sie sich in eine zynische und unerträgliche Frau.
Abwechselnd verflucht sie die Welt und alle, die darin leben, um sich dann von Grund auf selbst zu bemitleiden. Sie verachtet Menschen, die glücklich sind, die sich auf den richtigen Weg sehen und glaubt nur selbst die ultimative Wahrheit zu kennen.
Welche ist das? Ganz simpel: Das Leben macht keinen Sinn. Alle, die es nicht bemerken, sind bedauernswert, alle anderen sowieso.

Handlung? Oder nur Gedanken?

Eine wirkliche Handlung ist kaum vorhanden, die Spannung besteht einzig in der Frage, wohin der Mann verschwunden ist.
Das Hauptgerüst sind die Gedanken der Protagonistin: ihre Gleichgültigkeit, ihre Beobachtungen, ihre Vergangenheit, ihre Sehnsucht, ihre Hass.
Wenn man diese Reflektionen weglässt und nur die eigentlichen Elemente als Geschichte verkauft, dann merkt man erst, wie erstaunlich banal das Buch ist.

Es erinnert mich ein wenig an Bitterfotze von Maria Sveland oder Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins von Milan Kundera. Auch diese Bücher werden nur von Gedanken getragen. Der Unterschied: Im Falle von Kundera sind es unglaublich schöne und liebevolle Weltschmerzgedanken und bei Maria Sveland sind sie immerhin interessant und unterhaltsam.

Sybille Berg hat mich nicht nur gelangweilt, sie hat mich regelrecht geärgert. All die Anschuldigungen, die ihre Protagonistin uns mitteilt, all die Erklärungen, wie unerträglich andere Menschen sind, kann man sofort wieder zurückgeben. Es ist, als würde sich die Frau (ich nenne sie mal so, denn sie ist namenlos geblieben) permanent einen Spiegel vors Gesicht halten, das, was sie sieht aber vor lauter Abscheu auf andere Menschen projizieren.
Sie gibt vor ein einfaches und erstrebenswertes Leben zu führen. Auf mich hatte es den Eindruck, als käme sie nicht damit klar, dass andere Menschen andere Dinge erstrebenswert finden.
Ihre gesamte Unausgeglichenheit lässt vermuten, dass sie nicht ansatzweise so zufrieden ist, wie sie behauptet. Stattdessen meint sie permanent, dass andere es wären, die ein falsches Bild von Glück und Liebe haben.
Sie persönlich braucht nur Ruhe und den Mann, denn wahres Glück ist sowieso nur eine Illusion.

Und natürlich: Die Liebe zwischen ihr und dem Mann ist absolut anders, als die zwischen anderen Menschen. Ruhiger, beständiger. Keine Leidenschaft, die alles kaputt macht.
Spätestens nachdem sie zum fünften Mal den weichen Bauch ihres Partners erwähnte, sieht man sich in der Gewissheit, dass man es hier mit einem strahlend schönen Edward für Arme zu tun hat.
Nur ohne Spannung, ohne Abenteuer, ohne Prickeln.

Metaphern und Ellipsen so weit das Auge reicht

Was man bewundern kann, wenn man es denn bewundernswert findet, ist die Sprache der Autorin.
Ich bin mir sicher, dass sie ihr Handwerk absolut versteht und alle Stilmittel bewusst eingesetzt hat. Eine Kostprobe:

„Wir glitten in ein perfektes Menschenverstauungssystem, da waren die Bahn, die Fähre, Wegweiser, Bahnhöfe, Trams, Boote – alles griff geschmeidig ineinander, der Traum eines perfekten Beförderungssystems, das verdeutlichte, wie das Leben nie sein würde, das wiederum eher einem Dorf in Mecklenburg Vorpommern glich, nachdem der letzte Bus verpasst war.“

(S. 239)

Diesen Absatz fand ich zugegebener Maßen toll. Die Wortneuschöpfung, die gelogene Zahnradidylle, der Witz des gesamten Gedankens.

Auch dieses Zitat konnte mich begeistern:

„Erstaunlich glatte, durchtrainierte Herren schauen mich mit einer Art spöttischer Herablassung an, und ich studiere sie, durch eine Wand von Übelkeit. Absolut glatte Arschgesichter, deren Leben ihnen gnädigerweise nicht eine Sekunde des Innehaltens und inneren Betrachtens gestattet. Vermutlich beherrschen sie alle mindestens fünf Sprachen fließend und haben diesen Typ neuen Wissens, die schnelle, vernetzte Sorte, die nichts mit dem zu tun hat, was wir als intellektuell bezeichnen, was meint: Bücher zu Hause wie Trophäen auszustellen, den Kanon zu beherrschen und Köchelverzeichnisse aufsagen zu können.“

(S. 236)

Witzig, provokant und gerecht.
Wenn jemand herablassend behandelt wird, dann finde ich es fair zurückzuschlagen.
Im größten Teil des Romans greift aber niemand das Leben der Protagonistin an. Es ist genau umgekehrt – sie macht sich über das der anderen lustig, weil sie ihres permanent bedroht sieht.

Aber zurück zur Sprache:
Streckenweise war ich beeindruckt davon. Aber in ihrer Gesamtheit war es zu viel, zu nervig. Ständig findet man bewusst eingesetzte sprachliche Mittel, die den Text aufblähen und ihm eine Wichtigkeit geben, die aufgrund der lahmen Geschehnisse unangebracht ist. Spätestens zur Hälfte des Romans ist man derart abgestumpft von diesem permanenten Beschuss, dass man überhaupt nicht mehr unterscheiden kann, was jetzt dramatisch ist und was nicht.
Vielleicht war auch das genau so gewollt. Aber der Lesegenuss und auch der Lesefluss bleiben dabei auf der Strecke.

Ich möchte nicht unfair werden. Und deshalb schwöre ich, es ist wahr: Ich lese die härtesten Krimis, aber nach dieser Lektüre habe ich zum ersten Mal Alpträume nach einem Buch gehabt. Irgendein ausgestorbenes Museum, in dem Särge aufgestellt waren und alle, selbst die Angestellten nur noch aus Knochen bestanden.
So kam der Roman auch bei mir an. Er war leer, menschenfeindlich, „jammrig“ und unendlich einsam.

Empfehlen kann ich ihn höchstens Sprachfetischisten. Alle, die das Leben bunt lieben (und nein, ich rede jetzt nicht vom Ponyhof), werden sich über die Art der Autorin ärgern. Ja, die Autorin!
Warum ich denke Autorin = Protagonistin, lest ihr im nächsten Artikel.

1 Ratte


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