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Jenni Mills – Grab aus Stein

jennimillsEin guter Schluss ist unendlich wichtig. Manchmal rettet ein guter Schluss das ganze Buch. Ein Buch mag streckenweise nicht schlüssig sein, aber wenn der Schluss stimmt, verzeiht der Leser, vergisst sogar. So ähnlich verhält es sich mit „Grab aus Stein“ von Jenni Mills.

Das Buch erschien 2007 im Dumont Verlag, einem Verlag, in dem ich bisher Reise- bzw. Sachliteratur vermutet habe. Ich habe selten ein Buch mit derart vielen Rechtschreib- und Tippfehlern gelesen wie „Grab aus Stein“. Dafür gehört dem Dumont Verlag ein kräftigiger Hieb auf die Finger verpasst. Vielleicht lag es am Termindruck, eine rasche Übersetzung abzuliefern, jedenfalls beschlich mich das eine und andere Mal das Gefühl, dass einige Sätze und Formulierungen holprig zusammengefügt waren, einmal wurde ein neues Kapitel sogar an den letzten Satz gehängt, statt die obligatorische freie Seite einzufügen. Zudem kommt, dass „Grab aus Stein“ – wohl mangels einer Genre Nische – falsch vermarktet wurde/wird. Das Buch fiel mir aufgrund seines reißerischen Covers in die Hände. Der Roman ist ein Hardcover mit einem Lesezeichen, für Billiggeld verspricht der Text auf dem Buchrücken eine rasante spannungsgeladene Story, die angepriesen wird mit Sätzen wie „Begraben bei lebendigem Leib“ und „Der Sensationsroman von Englands neuer Queen of Crime.“ Derartige Sätze sind nicht immer hilfreich, zuweilen können sie den Leser in die falsche Richtung locken, mich lockten sie erstmal in Richtung Kasse.

Zuhause angekommen betrachtete ich meinen neu erworbenen Schatz genauer. Das Cover – ein Fossil, das in Stein geprägt ist, versehen mit dem Titel in blutroter Prägeschrift – ließ mich auf spannende Lektüre hoffen. Ich legte sofort los – und war erstmal enttäuscht und dann angenehm überrascht.

Griffige, klare Sätze verbunden mit einer Portion würzigem, trockenem Humors und angelagert mit poetischen Beschreibungen machten „Grab aus Stein“ bereits nach kurzer Zeit zu einer Lektüre, die ich nicht mehr aus der Hand legen konnte. Dabei entpuppte sich das Buch nicht als das, was der Buchrücken reißerisch ankündigte:
„Finsternis, Enge, Staub: Der ewige Albtraum, verschüttet und nie mehr gefunden zu werden … Bergbau Ingenieurin Kit ist schon eine besondere Frau. Sie hat einen Beruf, in dem sie täglich mit der Gefahr spielt. Und eine Vergangenheit, die sie jederzeit einholen und vernichten kann. Gerade hat sie einen großen Auftrag angenommen: Sie soll in Bath die unterirdischen Steinbrüche – und damit die halbe Stadt – vorm Einsturz bewahren. Es geht nicht nur um technische Probleme, sondern auch um die höchst unterschiedlichen Interessen von Anwohnern, Lokalpolitikern, Tierschützern und Historikern.“

So weit, so gut.

Wäre da nicht das Problem, dass der Roman eben NICHT von diesen Dingen handelt. Jedenfalls nicht wirklich. An der Oberfläche spielten sich gewiss diese Dinge, diese Nebenhandlungen ab, aber unter Tage lag der eigentliche Schatz dieser Geschichte, der Kern der Lektüre verborgen. Dass „Grab aus Stein“ sich nicht als reißerische Spannungslektüre entpuppte, störte mich nicht, ich hatte im Gegenzug etwas viel wertvolleres erhalten, und warum sollte ich der Autorin nicht eine Chance geben, schließlich konnte sie nichts dafür, dass der Verlag nicht imstande war, ihr Buch richtig zu vermarkten.

„Grab aus Stein“ erzählt vielmehr die Geschichte von Katie „Kit“ Parry, ja, sie ist Bergbau Ingenieurin, und ja, es gibt da diesen Job, eine Einsturz gefährdete Kleinstadt zu retten, indem man die unter der Stadt befindlichen Minen mit Beton vollpumpen und verschließen will, und ja, es gibt ein paar Intrigen von Dorfbewohnern und den typischen Frauenhassern im männlich dominierten Bergbau. Aber das passiert alles nur am Rande. Die eigentliche – und für mich faszinierende – Geschichte handelt von Kits Jugend, wie sie in eben dieser Stadt, die sie nun retten soll, aufgewachsen ist. Ihre ersten Erfahrungen mit Jungs, der Kauf bzw. Klau ihres ersten BHs, die Intrigen zwischen ihr und ihren Freundinnen, die Sehnsucht nach ihrer Mutter, die die Familie verlassen hat, das zwiespältige Verhältnis zu ihrem Vater, der sie liebt und dennoch mit Prügel bestraft, wenn sie Dummheiten ausgeheckt hat, ihre Liebe zu Fossilien – all das das macht für mich die eigentliche Geschichte von „Grab aus Stein“ aus.

Auch die Liebe kommt in diesem Roman nicht zu kurz, denn Kit, angekommen in Bath, um die Statik der vom Einsturz gefährdeten Fundamente zu prüfen, erkennt in ihrem Vorarbeiter ihre damalige Jugendliebe, Gary, wieder. Gary jedoch weiß nicht, wen er vor sich hat, was die Handlungsstränge nochmal so spannend gestaltet, als die beiden sich näher kommen.

Zudem fand ich in „Grab aus Stein“ allerlei poetische Sätze vor, die mich begeisterten und die mir ans Herz wuchsen.

„Ich stelle sie mir dort draußen zwischen den Bäumen vor, schweigsame dunkle Männer mit Muskeln wie verknotete Taue, einsame Pickengeräusche hallen durchs bemooste Geäst. Tock, tock, tock, wie Spechte.“

„Manche sind zum Entzücken erwacht, manche geboren zu ewiger Nacht.“

„Plötzlich ist er wieder da, der Duft einer Schublade voller Seidentücher, der Duft der Sehnsucht nach etwas, woran man sich kaum erinnern kann.“

„Grab aus Stein“ lässt viel Raum für Interpretationen. „Grab aus Stein“ ist ein Buch, das man am besten ein zweites Mal liest, sobald man es durchgeackert hat, denn vieles, was beim ersten Lesen nur angeschnitten wird und dadurch manchens verstörend wirkt, scheint beim zweiten Mal klarer und verständlicher. Die Sympathien für die Protagonistin Kit schwankten bei mir wie ein Großsegel, das im Sturm knattert. Ich mochte sie wegen ihres trockenen Humors und ihrer Schwäche für den Vorarbeiter Gary, ich liebte sie für die duftende Sehnsucht nach ihrer Mutter, aber ebenso verachtete ich sie für ihre Hingabe und Liebe zu ihrem Vater, der sie mehr als einmal verprügelte. Ich konnte/kann nicht verstehen, wie man jemanden lieben kann, der einem derart viel Schmerzen zufügt. Aber der Sinn von Büchern liegt für mich nicht (mehr) in der bedingungslosen Liebe zu seinen Worten, dem hüllenlosen Verschmelzen mit der Geschichte und seinen Bewohnern. Oftmals sind es die kleinen Dinge, die mir Anstoß geben, über das Universum und seine sich darin umherirrenden Wesen nachzudenken.

Mir hat „Grab aus Stein“ sehr gut gefallen. Es gab Szenen, die mich sehr berührt, Szenen, die mich andererseits sehr verstört haben, größtenteils lag letzteres daran, dass vieles erst zum Schluss hin schlüssig wurde, wobei der Kreis sich schließt und ich wieder am Anfang dieser Rezension bin und der Tatsache, wie unendlich wichtig ein guter Schluss ist, besondern wenn manch Passage im Mittelteil nicht so schlüssig gelungen ist. „Grab aus Stein“ verfügt vielleicht über einen in die Irre führenden Buchrückentext, der die enttäuschten Rezensionen bei amazon erklärt, aber „Grab aus Stein“ verfügt auch über einen guten Schluss, der den Leser mit einem warmen Gefühl im Bauch nach Hause schickt. Immer noch weiß ich nicht, warum Kits Vater so gehandelt hat, wie er es getan hat, immer noch frage ich mich, ob die Sache mit Gary was geworden ist (als unerschütterlicher Romantiker möchte ich lauthals JA! schreien), immer noch wünsche ich Kit von ganzem Herzen, dass sie es irgendwie schafft, ihren Weg nach Hause zu finden. Dies wünsche ich auch der Autorin Jenni Mills, die – nach Buchklappentext – dreißig Jahre lang für die BBC arbeitete, bevor sie sich nach überstandener schwerer Krankheit ihren Lebenstraum verwirklichte, einen Roman zu schreiben. Gleich mit ihrem ersten Wurf gelang es ihr, „Grab aus Stein“ innerhalb von 14 Tagen in Großbritannien, dann in 7 weitere Länder zu verkaufen. „Grab aus Stein“ liest sich wie ein Buch, das man nach schwerer überstandener Krankheit geschrieben hat – nicht immer ist alles gut, aber die Hoffnung schimmert am Horizont. Und das hoffentlich jeden Tag aufs Neue.


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