Beinahe ein Jahr (19. November 2008) ist es her, da schrieb ich eine Rezension über Kathy Reichs höchst erfolgreichen Debütroman Tote lügen nicht. Damals lobte ich das Buch in den höchsten Tönen, fand aber auch genug kritische Töne, um mit den Worten zu schließen, ich würde „keinen weiteren Roman von Kathy Reichs lesen“. Voreilig, wie sich herausstellte, aber wie konnte ich damals auch ahnen, dass eine meiner zukünftigen Lieblingsautoren in mein Leben getreten war? Ihr ahnt es schon: Es blieb nicht bei meiner Androhung. Mittlerweile tummeln sich fünf Kathy Reichs Romane in meinem Regal.
Kathy Reichs, 1950 in Chicago geboren, unterrichtet Anthropologie an der Universität in North Carolina und arbeitet zudem als forensische Anthropologin an den gerichtsmedizinischen Instituten in Montreal und Charlotte. Sie ist eine von nur fünfzig (!) an Gerichten zugelassenen forensischen Anthropologen in Kanada und den USA. Kathy Reichs weiß, wovon sie schreibt, und das merkt man ihren Romanen an.
Wie schon ihr Debütroman Tote lügen nicht (1997) ist auch Knochenarbeit, das zweite Buch von Kathy Reichs, nichts für sensible Menschen. Wie schrieb der Spiegel damals über Kathy Reichs Debüt? “Dieser Thriller berührt und fesselt nicht nur, sondern erzählt auf verstörende Weise von der Macht des Bösen.” Dasselbe gilt auch für Kathy Reichs Nachfolger Knochenarbeit.
In Knochenarbeit hat Temperance, oder auch Tempe, wie sie genannt wird, als forensische Anthropologin alle Händevoll zu tun. Hatte Tote lügen nicht noch Überlängen aufzuweisen, insbesondere was medizinische Ausführungen und das pathologische Sezieren von Knochen angeht, weist der Nachfolger Knochenarbeit sehr viel mehr Handlungsstränge auf, was der Geschichte deutlich mehr Lebendigkeit einhaucht. Ebenso wie Kathy Reichs selbst pendelt auch Tempe Brennan in ihrem Arbeitsleben zwischen dem kanadischen Montreal und dem südlichen North Carolina hin und her. War in Tote lügen nicht noch das sommerliche Montreal der Schauplatz der Verbrechen, konzentrieren sich die Handlungsstränge von Knochenarbeit dieses Mal hauptsächlich auf North Carolina. Ähnlich wie in ihrem Debüt weiß Kathy Reichs auch hier wieder hervorragende Orts- und Kulturbeschreibungen aufzuweisen, so dass man sich nach kurzer Zeit heimisch fühlt und das dringende Bedürfnis verspürt, die Orte der Handlung in seinem nächsten Urlaub aufzusuchen.
Der Schreibstil von Knochenarbeit ist erneut sauber, stilsicher und akkurat und eine Wohltat für jedes angehende Autorenherz. Ebenso eine Wohltat sind die herrlich trockenen Dialoge zwischen Tempe und ihrem alten Verehrer Detective Andrew Ryan und dem ewig skeptischen Detective Luc Claudel. Neben den eigentlichen Mordfällen und einer schier unerträglichen Spannung, die einen geradezu durch die Seiten treibt, liegen für mich die Stärken dieses Romans auch hier wieder in der Anteilnahme an Tempes Privatleben – wenn sie mit ihrer Katze Birdie spricht, wenn sie nach einem jeden Tag abends zur ihrer Coca Cola Light greift, wenn die abendliche Einsamkeit nach ihr greift und sie Sehnsucht verspürt nach ihrem Ex-Mann Pete.
Die Handlung ansich – in einem niedergebrannten Haus lieben 7 verkohlte Leichen, ein verkohltes Ehepaar, ein junges Paar mit tödlichen Stichwunden und zwei Babies, denen beiden das Herz fehlt – führt den Leser dieses Mal in den schwül heißen Süden North Carolinas, wo eine unheimliche Sekte ihr Unwesen treibt. Konnte ich Tote lügen nicht nicht aus den Händen legen, so habe ich Knochenarbeit regelrecht verschlungen. Bereits nach den ersten Kapiteln entwickelt der Roman ein spannungsgeladenes Tempo, dem man sich nur schwer entziehen kann. All das hat mich veranlasst, mir die nächsten drei Folgeromane zuzulegen, um Tempe Brennan weiterhin in die Abgründe der menschlichen Psyche zu folgen. War ich bei Tote lügen nicht noch skeptisch, was den Lesegenuss anging, kann ich für Knochenarbeit reinen Gewissens die volle Punktzahl vergeben für eine besonders gelungene schriftstellerische Leistung. Wie heißt es so schön? „150 Punkte für das Haus Griffyndor!“ Äh, Reichs.
Kathy Reichs?
Jederzeit wieder.
Keine Kommentare