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Über Drehbücher und Romankorsetts

drehbuchViele Menschen … obwohl, eigentlich weiß ich gar nicht, ob es viele Menschen sind. Ich benutze diese phrasenhafte Einleitung ziemlich gern, obwohl ich im Grunde genommen nur von mir selbst spreche. Also nicht viele, vielleicht viele, aber mit Gewissheit kann ich das nicht sagen, sondern ich habe Schwierigkeit mich auf meine vier Buchstaben zusetzen und einfach loszulegen, um einen Roman zu schreiben.
Es klappt nicht. Ich gehöre nicht zu den Genies (glaubt man kaum, oder?), die nach einer Eingebung aufspringen, vorn anfangen und dann loslegen eine Geschichte runterzureißen.

Wenn ich aber allzu lange über meine Ideen nachdenke und dabei nichts zu Papier bringe, dann beginnt alles so verworren und verwirrend zu sein, dass ich am Ende überhaupt nicht mehr denken kann, bzw. (Phrase Nummer zwei) den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehe.

Natürlich gibt es da Abhilfen und bewährte Tipps. Man kann zum Beispiel den yWriter verwenden, die Software für Schreiber. Zugegeben, wirklich intensiv habe ich mich damit noch nicht beschäftigt, aber wenn ich nicht auf den ersten Blick einen Zugang zu etwas finde, wenn ich mich nicht gleich von Anfang an mit etwas wohl fühle, dann blockiert es meine Gedanken doch eher, als dass es sie fließen lässt. Das Programm ist zwar noch nicht gänzlich abgeschrieben, aber auf den ersten Blick finde ich es einfach doof.

Ganz prima fand ich bisher immer die Zettelmethode, wobei hier die Betonung auf Zettel liegen sollte; methodisch ist daran nämlich überhaupt nichts. Obwohl damit alle Gedanken super, schnell und auch spontan erfasst werden können, hat man irgendwann einen endlosen Papierhaufen oder alternativ einen Datei-Dschungel auf dem Rechner angesammelt. Von Übersichtlichkeit kann hier nicht die Rede sein, und damit wäre ein geordnetes Weiterarbeiten ausgeschlossen.

Dann höre ich noch oft, dass man seine Idee doch in einer Kurzgeschichte festhalten sollte.
Was? Eine Kurzgeschichte? Nee, geht bei mir gar nicht.
Eine Kurzgeschichte ist zwar, wie der Name es vermuten lässt, eine kurze Geschichte, aber sie unterscheidet sich stilmäßig doch ganz erheblich von einem Roman. So habe zumindest ich das immer empfunden.
Ein Roman ist für mich Spannung über einen längeren Zeitraum, während ich Kurzgeschichten eher als kleine poetische Pointen sehe. Mit dieser Stilistik würde ich maximal ein Kapitel entwerfen können, aber wäre nicht in der Lage einen roten Faden für eine spannende Handlung zu stricken.

Was ich brauche, und was mir bei all den Schreibratgebern immer gefehlt hat, ist ein Gerüst. Oder noch besser, eine Malen nach Zahlen-Leinwand.
Wenn ich vor einer leeren Leinwand stehe, dann bin ich niemals dazu in der Lage eine Monalisa darauf entstehen zu lassen. Maximal würden meine gesteigerten Bemühungen und kreativen Auswüchse einen Picasso für Arme hervorbringen. Natürlich einen, den sich niemand ins Wohnzimmer hängen würde.
Mit einer Vorlage könnte ich jedoch systematisch vorgehen und in aller Ruhe anfangen präzise zu arbeiten. Und sehr wahrscheinlich würde sich das Ergebnis am Ende auch sehen lassen können.

Und, herje, ich glaube ich habe noch nie so eine lange Einleitung geschrieben, nach langem suchen (so lange nun auch wieder nicht) habe ich meine Methode auch gefunden. Ich schreibe meinen Roman einfach als Drehbuch.
Jawohl. Drehbücher sind kurze und knappe Anweisungen, eigentlich nur Notizen, die einem Regisseur einen roten Faden für seine optischen Ausschmückungen geben sollen.
In unserem Falle soll es der Faden für spätere wortreiche Ergänzungen sein.

Die Vorüberlegungen

Alles, was der Drehbuchautor vor dem Beginn des eigentlichen Scriptschreibens tut, unterscheidet sich nicht groß von den Vorbereitungen, die ein Romanautor zu treffen hat.
Bevor wir loslegen müssen wir erstmal wissen wo die Geschichte spielt, welche genauen Lokalitäten vorkommen sollen, welche Figuren mit von der Partie sind, welche Eigenschaften und Ziele sie haben, wie und wo die Geschichte beginnen soll und, wenn wir gut sind, versuchen wir auch schon grobe dramatische Wendepunkte auszumachen.
Am besten legt man sich für jeden Punkt eine Datei an und schreibt erstmal alles auf, was einem einfällt.

Der nächste Schritt besteht darin eine Prämisse herauszuarbeiten, ein grobes Leitthema. Worum geht es in unserer Geschichte? Es sollten nicht mehr als vier Sätze sein.
Dabei müssen wir uns aber wirklich auf die Quintessenz der Story konzentrieren. Geht es um Freiheit? Gerechtigkeit? Bruderliebe? Geisteskrankheit?
Natürlich lässt sich eine umfangreiche Story nicht so einfach und platt darlegen, aber es geht auch nur darum, einen Ausgangspunkt zu haben, an dem man sich immer wieder orientieren kann, wenn man dabei ist den Faden zu verlieren.
Harry Potter kämpft für den Frieden, Bella versucht die Liebe zu erobern und festzuhalten und Lizzy versucht mit Vorurteilen ihre Würde zu wahren.
Man kann auch einfach einige wenige Fragen stellen.

Bsp.

Aus Liebe kann Hass werden, aber kann aus Hass auch Liebe werden? Was genau ist Hass, warum entsteht er und wie äußert er sich?

Im nächsten Schritt verfassen wir dann ein Miniexposé. Eine Seite kann ausreichend sein, je nachdem wie viele Gedanken man sich schon gemacht hat, kann man auch mehr schreiben. Bei mir bleibt es meist bei einer Seite wegen des berühmten Waldes. Hatten wir ja oben schon, ne?
Das ist aber auch nicht weiter schlimm. Es soll erstmal gar nicht weiter um Details gehen, sondern nur um wer, was, wo, warum und um die Moral der Geschichte. Nein, es geht nicht um Fabeln, aber jede Geschichte will etwas sagen. Dabei kann man sich auch ganz gut an seiner Prämisse orientieren.
Das alles schreibt man dann wie ein Gebrüder Grimm Märchen, wenn’s sein muss auch mit einem Es war einmal am Anfang.
Es handelt sich nur um Euer Arbeitsexposé; niemand muss es lesen, wenn ihr nicht wollt.

Bsp.

Am ersten Uni-Tag nach einem fast endlosen Sommer trifft Helene auf Martin, der sich für den gleichen Studiengang entschieden hat und der vor einem Jahr am tödlichen Autounfall ihres Vaters beteiligt war. Helene ist geschockt, rennt aus dem Hörsaal und bricht verzweifelt in der Damentoilette zusammen.

usw.

Die Praxis

Das Drehbuch selbst besteht eigentlich nur aus Szenen, Handlungsanweisungen, Dialogen und Kameraanweisungen. Die Kameraanweisungen können wir getrost weglassen. Auch wenn es hier jemanden geben sollte, der wirklich ein Drehbuch und kein Romankorsett schreiben möchte. Derartige Dinge lassen sich im Nachhinein immer besser einfügen bzw. sie sind eigentlich auch Aufgabe des Regisseurs.

Und so sieht das Ganze dann aus:

(No.) Szene

(Int./Ext.) – Ort – Tageszeit

Handlungsanweisung

 

Dialog

Name

(Ausrichtung/Ausdruck)

Die Szenen nummerieren wir. Int. und Ext. bedeutet innen oder außen. Unter dem Stichpunkt Ort geben wir der innen oder außen gelegenen Lokalität einen Namen und bei Tageszeit schreibt man morgens, mittags, abends, nachts – oder auch direkt die Uhrzeit, sollte man diese für wichtig erachten.
Als Handlungsanweisung schreiben wir all das, was der Erzähler in einem Roman sagen würde. Natürlich nur knapp und stichpunkthaltig.

Im Dialog schreiben wir auf, wer etwas sagt, darunter an wen er sich wendet, falls mehrere Personen anwesend sind und in welcher Art er es tut. (z.B. flüsternd oder mit sich selbst redend)
Und zum Schluss natürlich die reine Botschaft.

Als Beispiel:

(1.) INT. – BLUMENLADEN – TAG

 

HELENE betritt den Hörsaal, als Sie Martin entdeckt. Sie ist schockiert. Ihre Kommilitonin versucht herauszufinden was los ist.

 

KOMMILITONIN

(verunsichert)

Hey, geht es Dir nicht gut?

 

Helene

(stotternd)

Nein, bitte entschuldige mich.

 

Sie verlässt den Hörsaal. Kommilitonin bleibt verwirrt zurück.

 

(2.) INT. – DAMENTOILETTE – TAG

 

Helene schließt sich in der Toilette ein, weint und erinnert sich an das, was vor einem Jahr passiert ist.

Die Vorteile dieser Technik liegen auf der Hand

filmrolle
Man kann sich alle Ideen stichpunkthaltig notieren, ohne dabei auf Form und Stil zu achten und man muss sich erstmal keinen passenden Übergang überlegen. Trotzdem ist alles super übersichtlich, man kann eine Szene an die andere reihen, sie aber auch beliebig untereinander vertauschen.
Wenn man Langeweile hat oder ganz kreativ sein möchte, kann man die einzelnen Szenen auch direkt auf Setkarten schreiben, um mit ihnen ein Muster zu legen. Etwa: erst kommt die Hausszene, dann blenden wir in den Kopf von Johannes, dann kommen wir wieder zurück zum Haus – oder ach nein, zwischen Haus und Johannes schieben wir noch die Landschaftsbeschreibung ein usw.
Man muss sein Drehbuch auch nicht direkt eben weg schreiben, sondern kann eine Szene nach der anderen anfertigen und im Nachhinein alles zusammenpuzzeln und überarbeiten.

Wenn man aus einem Roman ein Drehbuch machen kann, sollte es doch auch andersrum ganz gut gehen, oder?
Mir macht das Drehbuchschreiben auf jeden Fall total viel Spaß. Es geht einfach von der Hand, gibt einem viel Selbstvertrauen und eröffnet ganz andere Perspektiven.
Wenn man fertig ist, dann hat man seine Malen nach Zahlen-Leinwand in der Hand und kann anfangen alles mit Emotionen, Gedanken und detaillierten Beschreibungen auszumalen.

Wer sich tiefer mit der Materie beschäftigen möchte, kann sich hier ein Interview mit dem Drehbuchautor Wolfgang Kirchner durchlesen. Er behauptet, dass jeder in der Lage ist ein Drehbuch zu schreiben, und verrät einen 15-Punkteplan, nach dem die erfolgreichsten Hollywoodfilme aufgebaut sind.

Bei Amazon gibt es ein Buch von Robert McKee. Es heißt Story – Die Prinzipien des Drehbuchschreibens. Ich kenne es nicht, aber es hat die besten Kundenbewertungen von allen aktuellen Fachbüchern bekommen.

Und hier findet Ihr eine tolle PDF zum Thema vom Roman zum Drehbuch von Reimar Seibert-Kemp.

Bilder: ©Iconstock/iconspedia.com

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2 Kommentare

  • Antworten www.kirstenmarohn.de August 15, 2009 um 3:27 pm

    Ich kann zu diesem Thema das Buch „Sturm des Jahrehunderts“ von Stephen King empfehlen. Das gesamte Buch – es sollte ursprünglich ein Roman werden und wurde dann für eine TV Miniserie umgeschrieben – besteht aus der von Dir, Lilly, beschriebenen Drehbuchform, und, man glaubt es kaum, diese Geschichte ist unglaublich spannend, was man aufgrund der verwendeten Technik nicht unbedingt erwartet. Das Drehbuch ist, wie ich finde, eine recht nüchterne Art, eine Geschichte zu erzählen, weil doch vieles „wegfällt“, was zur Stimmung einer Geschichte beiträgt. Stephen King zeigt mit diesem Roman aber, dass es auch mit einer Geschichte in Drehbuchformat möglich ist, eine dichte, atmosphärische Stimmung aufzubauen. Anfangs noch etwas gewöhnungsbedürftig, findet man sich schnell in diese Form des Lesens hinein. Ich kann das Buch nur empfehlen, ein spannender Roman, nicht nur für die Drehbuchschreiber unter uns.

    Zum Thema Malen nach Zahlen möchte ich sagen, dass ich früher meine Bücher damit begonnen habe, einfach drauf los zu schreiben. Frei nach dem Motto „Das Buch ist der Boss“ (so wird es auch in Stephen Kings „Das Leben und das Schreiben“ empfohlen). Mittlerweile kann ich davon nur abraten, wenn man Schreibanfänger ist. Wer das Handwerkszeug des Schreibens perfekt ausüben kann, für den mag diese Art der Schreibmethode förderlich sein, für mich selbst, die meist lange an der Formulierung ihrer Sätze herumdoktert, artet das im Chaos aus. Seitdem schreibe ich mir meist ein grobes Gerüst auf einen Zettel auf. Dort notiere ich mir in groben Skizzen die einzelnen Kapitel. Anfang und Schluss eines Romans habe ich meist sofort im Kopf, auch wenn sich das meist noch ändert. Die Grundstimmung aber zieht sich bei mir wie ein roter Faden durch die Geschichte und ist es meist auch, die mich zu einem Roman inspiriert. Diese Kapiteltechnik liegt mir gut, weil ich dadurch sehen kann, wo es lange(weilige) Passagen gibt, wo noch etwas mehr Spannung eingefügt werden kann oder wenn Passagen zu kurz sind. Ein grobes Gerüst ist jedenfalls empfehlenswert – egal ob mit Zetteln oder mit Notizen in Form von Kapiteln -, bevor man loslegt. Für die nervösen Mimosen unter uns – ich zähle mich dazu – nimmt ein zuvor ausgearbeiteter Zettel mit Kapitelauflistung die Angst vor der berüchtigen „weißen Seite“ oder dem blinkenden Cursor am Ende eines fertig geschriebenen Kapitels. Mit einem wagen Kapitelgerüst im Rücken sieht man diesen Dingen gelassener ins Auge. Es macht Mut, sich ans neue Kapitel zu wagen, wenn man ungefähr weiß, wohin die Reise geht.

  • Antworten Rik Januar 24, 2010 um 2:05 am

    Ich habe beide Varianten ausprobiert:

    die analytische Drehbuchschreiberei und die emotionale-aus-dem-Bauch-heraus-wie-geht-es-jetzt-weiter-Tipperei. Hat beides funktioniert. Ersteres geht schnell von der Hand. Zweiteres ist für den Autor spannender und unter Umständen ergiebiger.

    Beim Drehbuchschreiben sollte trotz allem zuerst das Gerüst stehen, bevor man mit den Details und Dialogen anfängt.

    Wichtig: Ideen und Vorstellungen unbedingt notieren, bevor sie ins Nichts verschwinden. Notizbuch immer mit sich führen. Und auch mal des Nächtens aus dem Bett kriechen, wenn einem ein superduper Einfall gekommen ist.

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