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John Irving – Zirkuskind

Was bist du? Ein Gesellschaftsroman? Ein Familienroman? Ein etwas anderer aber verdammt guter Krimi? Oder einfach alles zusammen?
„Ich bin bunt, ich laut würzig und aufregend. Eine Zeitmaschine, eine Tragödie, ein philosophisches Meisterwerk. Ein abgerundetes Theaterstück ohne erkennbare Ordnung. Ich bin liebenswürdig und auch grausam. Ich bin die Realität der Phantasie und lasse mich in keine Schubladen stecken.“

Was sagt mir das? Du bist ein Irving!

Das war Martin Mills’ indischer Mikrokosmos: das tödlich verwundete Tier, das religiöse Ritual, die ewigen Fliegen, die unglaublich leuchtenden Farben, das selbstverständliche Vorhandensein menschlicher Scheiße – und natürlich die verwirrenden Gerüche.

Brillant schafft es der Beste der besten Autoren mal wieder viele verschiedene Handlungsstränge ineinander zu knüpfen und einen roten Faden elegant durch die weite Welt der Dramatik und Alltäglichkeit zu fädeln.
Ich werde sie versuchen in meiner Inhaltsangabe der Gewichtung nach zu sortieren:

Dr. Farrokh Daruwalla ist kanadischer Staatsbürger, verheiratet mit einer Österreicherin und aufgewachsen in Bombay und Wien.>!

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Wohin er auch reist, er fühlt sich nur an einem Ort zuhause. Ein Ort, der seiner Träumernatur und seinen Kindheitserinnerungen den perfekten Raum zum glücklich sein bietet: Der Zirkus.
Weder in Toronto, wo er oft mit Rassisten aneinander gerät, noch in Bombay, die Stadt, die er eigentlich nie kennen gelernt hat, bieten ihm eine Heimat.
In Kanada gilt er als der verrückte Orthopäde, der sich mit Zwergenwuchs-Genen beschäftigt, in Indien als der feine Doktor, der verkrüppelten Kindern hilft – und außer im ehrwürdigen Sportclub Duckworth nirgendwo richtig dazuzugehören scheint.
Sein Vater, ein zynischer Blasphemiker, legte den Grundstein zu einem Leben, das glücklich verlief aber tiefe Standpfeiler vermissen ließ.

John D., der Adoptivsohn der Familie Daruwalla hat es mit Farrokhs Hilfe als Drehbuchautor weit in Indien gebracht. Seine Filme, in denen er Inspector Dhar spielt und das Böse bekämpft, sind Kassenschlager. Nur leider hasst ihn die Masse, da sie sich von seinen Verhöhnungen beleidigt fühlt.

Sein Zwillingsbruder Martin Mills ist ein relativ unbekannter Mann, hat nach Ansicht vieler jedoch womöglich das schwerere Los gezogen. Er wurde von seiner leiblichen Mutter erzogen, gepeinigt und gedemütigt. Von der Existenz eines Zwillingsbruders ahnt er nichts, als er nach Bombay kommt, um in einer jesuitischen Schule zu unterrichten und sich auf sein Priestertum vorzubereiten.

Nancy sucht ihr Glück nach einer Abtreibung, einem langweiligen Job und einem schlechten Ruf in ihrer amerikanischen Heimat im Osten. Über Umwege gerät sie nach Indien, lernt die Familie Daruwalla kennen und wird Zeugin eines Mords.

Über Jahre hinweg häufen sich diese mysteriösen Todesfälle, bis sie sogar den ehrwürdigen Duckworth Club erreichen, der nur besonders privilegierten Mitgliedern zur Verfügung steht. Der Hass scheint sich gegen Inspector Dhar zu richten.
Aber weswegen?

Und welche Rolle spielen der kleinwüchsige Zwerg Vinod und seine Zirkusfrau Deepa? Wer ist der echte Polizist namens Patel? Was hat es mit Rahul auf sich?
Und warum meint man die Kinderprostituierte Madhu und den Krüppel Ganesh retten zu können? Zu welchem Preis?

Ja, vielleicht sind das für den ersten Eindruck recht viele Personen, aber in einem Irving– Roman ist jeder wichtig und entscheidend für den Plot.
Und wenn es nur der alte Kellner Mr. Sethna ist, der alles und jeden missbilligt – was Herr Irving natürlich auf jeder 10. Seite wiederholt, sodass man sich am Ende vor Lachen krümmt.

Es ist ein herrliches Werk entstanden, erfrischend und lustig, tiefreligiös und dennoch blasphemisch, ernst und heiter zugleich.
Eben noch zittert man vor Spannung, dann lacht man laut auf – und spätestens im Epilog der Art „was wurde aus allen Personen“? vergießt man seine Tränen.

Worum geht es?
Um Fremdenfeindlichkeit, die Leiden und Kreationen der Schriftsteller, um das Elend der Welt und wie man es mit all seiner Energie nicht einmal schafft Wenigen zu helfen, um Kulturen, Homo- Trans- und Intersexualität, Sex und Lust im Allgemeinen, um Zirkusse, Familien, Arm und Reich, hier und dort … um Leben, um Geschichten.
Nicht eine Geschichte – es sind hunderte. Erzählt mit einer atemberaubenden Sprachleistung, Liebenswürdigkeit und Ausdauer.

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1 Kommentar

  • Antworten Eva September 9, 2008 um 6:20 pm

    Ich liebe John Irving auch über alles, allerdings fand ich „Zirkuskind“ das schwächste aller Bücher, die ich von ihm gelesen habe. Ich kann leider nicht mehr sagen, woran das liegt, weil es schon eine Weile her ist, seit ich es gelesen habe, aber es hat einfach nicht an meine Lieblinge („Das Hotel New Hampshire“, „Owen Meany“ und „Die wilde Geschichte des Wassertrinkers“) herangereicht. Den Schauplatz Indien fand ich zwar sehr interessant und natürlich waren die Charaktere wie immer bei ihm wunderbar & dreidimensional, aber ich glaube, die Handlung(en) an sich haben mich nicht so mitgerissen. Ich werde es aber bestimmt noch einmal lesen, mal sehen, wie ich es dann finde.

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